FolkWorld Ausgabe 41 03/2010; Interview
Liebe und Verlust
Die Leidenschaften der Luz Casal
Ihr zwölftes Album "La Pasión" hat die spanische Rocksängerin María Luz Casal Paz dem Bolero gewidmet, jenem Musikstil, der Lateinamerika um die Mitte des 20. Jahrhunderts entscheidend bestimmt hat. Luz Casal wagt sich jedoch an keine Modernisierung des Bolero, die Arrangements sind überkommener Art. Die Themen jedoch sind zeitlos: Liebe und Leidenschaft, Trauer und Tragödie.
Du bist eigentlich eine Rock-Sängerin? Ich bin eine Rocksängerin, ja. Ich bin eine Sängerin, die noch einer Generation angehört, für die die Rockmusik sehr wichtig war. Eher Rock als Pop. Es ist nur so, dass du dich weiterentwickeln willst, wenn du schon 11 Alben gemacht hast. Wir Solisten haben da meiner Meinung nach eher diese Freiheiten, verschiedene Dinge zu tun und ein Album wie "La Pasión" hat sich daraus ergeben, dass ich 1991 für einen Film von Pedro Almodóvar den Titel "Piensa en mi" aufgenommen habe. Das war für mich so leicht zu singen. Ich denke, weil diese Musik auch Teil meiner Kultur ist, und schon damals habe ich gewusst, dass ich früher oder später einmal ein Projekt nur allein diesem Musikstil widmen würde. Seitdem sind zwar viele Jahre vergangen, aber ich habe es nun gemacht.
Luz Casal @ FolkWorld: FW#41 |
Wie ist das Album entstanden? Ich habe das auf die außergewöhnlichste Art gemacht, die ich mir hätte vorstellen können. Wir befinden uns in einer Krisenzeit für die Musikindustrie, aber ich konnte auf einen ganz besonderen Produzenten zählen, auf einen herausragenden Arrangeur wie Eumir Deodato, ich konnte mit erfahrenen Musikern arbeiten, solche, für die dieser Musikstil ein Teil ihrer Kultur ist, wie Alex Acuña aus Peru oder Luis Conte und Ray Yslas, die Perkussionisten, wie auch der Pianist und einige der Bläser. Ich habe in den DSDR Studios die Streicher aufgenommen und sogar im Graceland in Los Angeles. Vor allem in den Studios in Los Angeles und Paris gab es die gleichen analogen Aufnahmegeräte, z.B. habe ich die Stimme mit einem Neumann Mikro von 1963 aufgenommen. Zwar schon eine sehr alte Ausstattung, aber eine wichtige Sache bei diesem Album ist, dass es nicht klassische Boleros in der Version von Luz sind! Es ist eine Reise in jene Zeit und zwar so, dass es z.B. so aufgenommen wurde, als wären wir gerade in den 50er Jahren. Und darüber sind die Leute meiner Meinung nach sehr überrascht, denn sie haben gedacht, dass ich eine Platte mache wie damals die Version von "Piensa en mi".
In welcher Hinsicht sind die Aufnahmen außerdem noch eine Reise in die Vergangenheit? In bezug auf die Aufnahmegeräte, die Attitüde und auch auf die Arrangements. Von den Musikern sind einige noch jünger. Alex Acuña ist etwa 50, Ray Yslas wird so 30 sein. Es sind nicht sehr alte Leute, die da mitwirken, aber wir wollten im Studio mit den Leuten einfach aufnehmen, eins, zwei, drei und los geht's. Nicht neue Ideen suchen - klar es gibt auch Raum für Improvisationen, aber alles ist da sehr klar abgesprochen gewesen und wir wollten es so machen, als wenn es keine Möglichkeit gäbe, einen Song noch mal aufzunehmen. Wie man es damals gemacht hat: Alle Musiker zusammen, der Gesang, und los. Nicht aufnehmen und dann noch mal, und noch mal, und noch mal, nein. Nur einmal! Fast alle Songs wurden nur einmal eingespielt, zweimal höchstens und dreimal allerhöchstens.
Wie hast Du die Boleros ausgesucht? Ich habe mit den Songs angefangen, die mir einfielen. Danach habe ich mir viele CDs angehört und dann im Internet recherchiert und viele Komponisten entdeckt. Dann habe ich viele neue Songs und Interpreten kennen gelernt, Frauen und Männer und ich hatte schließlich 50 mögliche Titel zur Auswahl. Ich habe die Lieder gesungen und es sind die Lieder übriggeblieben, die mir in Fleisch und Blut übergegangen sind, die, die ich im Kopf hatte und plötzlich gesungen habe. Und dann habe ich darauf geachtet worum es in den Songs geht; aber obwohl es der gleiche Musikstil ist, sind sie doch verschieden. Da ist der Titel "Alma mía", der über den Wunsch erzählt, mit einer anderen Person zu leben. Dann der Song "Historia de un Amor", die Beschreibung der schönsten Liebesgeschichte, oder das Stück "No, No y No", das etwas freches hat, etwas herabwürdigendes, so ein "Bleib ja wo du bist".
Um welche Geschichte geht es bei dem Song "Historia de un Amor"? Der Titel "Historia de un Amor" ist eine wahre Geschichte. Eine sehr schöne Geschichte. Sie handelt von einem Paar, dessen Frau stirbt, nachdem sie einen Sohn zur Welt gebracht hat, weil sie sich mit der Vogelgrippe angesteckt hatte, die gerade in Panama ausgebrochen war. Daran starben viele Menschen und nachdem sie ihren Sohn geboren hatte, wurde sie krank. Und dann hat sie ihrem Schwager ihre Liebesgeschichte erzählt. Und er hat sie dann aufgeschrieben: "Es ist eine Liebesgeschichte, wie es sie nicht noch einmal gibt ..." wunderschön, aber letzten Endes: "Warum lässt mich Gott so leiden", aus der Sicht seines Bruders, der dann seine Liebe verliert. Eine wunderschöne Liebesgeschichte.
Bolero (Musikstil)Der Bolero in Lateinamerika bezeichnet einen Tanz und eine Liedform in gerader Taktart und entstand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Umfeld der kubanischen Trova. Als erster Bolero gilt "Tristeza", komponiert 1883 von José (Pepe) Sanchez (1856-1918), der als stilbildender Musiker der traditionellen kubanischen Trova angesehen wird. Ein typischer Bolero besteht aus zwei oktosyllabischen Vierzeilern, die jeweils ihre eigene, zwei Zeilen umfassende und dann wiederholte Melodie haben. Der zugrundeliegende Rhythmus war ursprünglich der cinquillo des Danzón. Heute hört man meistens eine Variante des Beguine. Der dazugehörige Tanz ist die Rumba, wenn der Bolero nicht mit anderen Rhythmen wie Mambo oder Chachacha gemischt wird. Der Bolero verbreitete sich überall da, wo kubanische Son-Gruppen auftraten, wurde aber mit dem Aufkommen des Tonfilms in ganz Lateinamerika besonders populär. So gilt inzwischen Mexiko als mindestens ebenso wichtig für den Bolero wie Kuba. Wichtige Komponisten von dort sind Consuelo Velázquez, María Grever oder der ehemalige Bordellpianist Agustín Lara aus Veracruz, dessen Lied Granada weltbekannt wurde. Seine wichtigsten Interpreten, und damit des mexikanischen Boleros, waren Toña La Negra (eigentlich: Antonia del Carmen Peregrino Alvarez, 1912-1981), Pedro Vargas, das Trio Los Panchos und Pedro Infante. Stets sind die Texte sentimental-romantisch; einen „Schlüssel-Bolero“ stellt wohl María Bonita dar, den Lara seiner geschiedenen Frau, der berühmtesten Filmschauspielerin Mexikos der 40er und 50er Jahre María Félix (1914-2002), widmete. Die in Mexiko lebende Peruanerin Tania Libertad ist heute eine der wenigen Interpreten, die sich um eine zeitgemäße Adaption des Boleros bemühen und ihn somit am Leben halten. |
Was assoziierst Du mit dem Musikstil des Boleros? Der Bolero ist der intensivste Ausdruck von Liebe und Verlust. Der Unterschied zwischen einem Bolero und einer Ballade, selbst einer Heavy Rock oder Hard Rock Ballade, ist die Instrumentierung, das ist der Klangcharakter. Wenn ich diese Songs mit meinen Musikern, mit denen ich auf den anderen Alben zusammengearbeitet habe, aufgenommen hätte - Robby Macintosh z.B., stell dir vor er spielt da seine E-Gitarre, dann wäre "Historia de un Amor" eine Ballade geworden und kein Bolero. Ich assoziiere den Bolero mit Liebe und Verlust, mit einer Zeitepoche und mit Songs, die Gefühle ausdrücken. Ich verstehe den Bolero ähnlich wie den Flamenco, eher orthodox, d.h. ich stelle mir unter dem Bolero Musik vor, mit akustischen Instrumenten, mit akustischen Gitarren, Geigen, anderen Saiteninstrumenten und auch Bläsern, aber mit einem Sound, der eher hinter dem Beat spielt. Das sind die zwei Aspekte des Boleros, die ich wichtig finde. Die Beschreibung von Gefühlen, die sich auf die Liebe beziehen und auf einen eigenen Klang. Und ich denke wirklich, wenn ich diese Songs mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug spielen würde, wären es Balladen, wie andere auch auf meinen vorherigen 11 Alben.
Aus welchen Ländern kommen die Boleros auf diesem Album? Fast alle Boleros kommen zunächst einmal aus Mexiko und Kuba, aber es gibt Stücke auf dieser CD, die sind aus Panama, Puerto Rico, Chile, Argentinien, Brasilien und anderen Ländern, aus 8 verschiedenen Ländern. In Spanien war diese Musik und ihre Interpreten auch populär, aber dort wurden keine Boleros komponiert. Es ist etwas, das aus Lateinamerika nach Europa gekommen ist.
Was sollten die Hörer dieser CD über das Album erfahren? Es ist eine Widmung, eine CD, die einem Musikstil gewidmet ist, einer bestimmten Art von Liedern und einer Epoche, aber obwohl das so ist, weiß ich, dass diese Songs so sind, als wären sie für die heutige Zeit geschrieben. Wenn die Leute dieses Album hören, könnte ich mir vorstellen, dass sie vielleicht ihre Realität vergessen. Denn mit mir macht das etwas, und das obwohl ich sogar selbst an der CD gearbeitet habe, oder anders gesagt: Ich höre die CD und meine ganze Umgebung verschwimmt, ich weiß nicht mehr, ob die Wand wirklich da ist, welche Farbe sie hat, es ist wie ein "Fummm" und das ist sehr befreiend.
Ist der Bolero eine Lebensart? Er ist eine Attitüde, d.h. mit diesen Songs und mit dieser Instrumentierung, fühlst du dich anders. Wenn ich diese Stücke spiele, kann ich mir nicht meine Lederhose anziehen. Ich kann es nicht, etwas passiert da. Aber wenn wir ganz eindeutig davon reden können, dass die Rockmusik eine Lebensart ist, eine Art zu fühlen, eine Art, dich zu zeigen, dann ist das hier (in bezug auf den Bolero) schwer so zu sagen. Es ist schwierig. Denn ich stehe auch nicht für die Romantik. Nicht die Romantik des 18. und 19. Jahrhunderts mit deutschem Hintergrund, sondern die Romantik, so dieses "ich liebe Dich, sie liebt mich". Ich würde eher sagen, es ist eine Art zu fühlen, als eine physische Haltung oder eine Lebenseinstellung. Vielleicht das alles, aber immer auf die Gefühlswelt übertragen. Denn der Bolero ist "Sentimiento - Gefühl". Wenn ich es mit einem Wort beschreiben müsste, Bolero ist gleich: "Gefühl".
Welche persönlichen Erfahrungen haben Dich Boleros singen lassen? Ich habe nicht so viele Erfahrungen gesammelt, wie sie in den Songs vorkommen, wie du dir vorstellen kannst. Viele Erfahrungen sind aufgeschrieben worden, aber was mich interessiert, ist, die Fähigkeit zu haben, das Leben anderer zu reflektieren, denn ich nutze da meine Intuition, d.h. wenn wir von deiner Geschichte sprechen, z.B. die Geschichte, wegen der du so leiden musstest, kann ich mich gut in deine Situation versetzen und von deiner Erfahrung ausgehend singen, kann vergessen, dass ich eine Frau bin, dass ich Luz heiße und kann meine ganze Gefühlswelt und Person vergessen und mich in deine Rolle versetzen.
Kann man Boleros besser singen, wenn man älter ist? Man könnte das theoretisch bejahen, also, es ist so, dass man für diese Lieder die Erfahrung der Liebe und des Verlustes braucht. Ich glaube, dass es Aspekte gibt, die du nur ausdrücken kannst - Aspekte des Lebens wie Unzufriedenheit, Wut, Ungerechtigkeit, Beschwerlichkeit, die Entdeckung anders zu sein, all diese Dinge entstehen, wenn du allein durchs Leben gehst, wenn du zu erkennen beginnst, dass du von vielen Monstern umgeben bist. Aber später kommt dann ein Moment, in dem du merkst, dass die Gefühle viel wichtiger sind als alles andere, denn sie sind die Essenz des Lebens.
Interview zur Verfügung gestellt von Q-rious Music, Köln (www.qrious.de). |
Photo Credits:
(1)-(2) Luz Casal (from website).
Zur englischen FolkWorld |
© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010
All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external websites.