FolkWorld Ausgabe 38 03/2009; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M


Carl Spitzweg ,Der arme Poet', www.spitzweg.de
T:-)M's Nachtwache
Born to be wild - Die 68er und die Musik

Das magische Jahr 1968! Wie ich - ein guter Jahrgang! Was mich als Zuspätgeborenen immer besonders an den Sechziger Jahren fasziniert hat, ist das scheinbare Neben- und Miteinander der populären Musikstile. Wen kümmern schon die Unterschiede? Heute liegen zwischen Folk und Jazz und Pop und Rock meilenweite Gräben, man spricht nicht miteinander, geschweige dass man sich überhaupt kennt. Also war damals alles super, oder etwa doch nicht?

Daniel Gäsche, Born to be wild - Die 68er und die Musik

Daniel Gäsche, Born to be wild - Die 68er und die Mu- sik. Militzke, 2008, ISBN 978-3-86189-806-1, 352 S, €24,90.

1968 sei ein Phänomen, dass einen unverhältnismäßig großen Platz einnehme, meint Daniel Gäsche in Born to be wild - Die 68er und die Musik. Jede kleine Institutsbesetzung sei dokumentiert, während Großdemonstrationen der 50er mit mehr als 35.000 Teilnehmern aus der kollektiven Erinnerung verschwunden sind. 1968 - das hieß Protest gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen und die mangelnde Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, Forderungen nach Hochschulreform und Kritik am Vietnamkrieg. Kampfmittel waren neue Erlebnisweisen (Drogen), die äußerliche Erscheinung und nicht zuletzt die Musik von '68. Mit Musik konnten die Jugendlichen ihren Protest artikulieren, sie verkörperte aber auch Lebensgefühl und Zeitgeist.

Das Durchdringende, das Radikale, das Revolutionäre bis in die Musik hinein: Das war das absolut Neue an '68. Musik wurde plötzlich zu einem ganz wichtigen Ausdrucks- und Identifikationsmedium, sie verknüpfte gewissermaßen Jugendliche miteinander. Musik wurde zum Symbol eines bestimmten Lebenstils, einer kulturellen und politischen Haltung, die umgekehrt auch wieder auf die Produktion dieser Musik zurückwirkte.
Zunächst kamen die Hippies, die friedlich gegen Kultur und politische Ordnung der Wohlstands- und Leistungsgesellschaft protestierten. Scott McKenzies "San Francisco" beschrieb die Sehnsucht nach dem Paradies: all across the nation, such a strange vibration, people in motion, there's a whole generation with a new explanation... Neben Folk wurde die Musik geprägt durch den Drogengenuss; psychedelische Musik wurde der dominante Musikstil. Motto: wenn schon nicht die Gesellschaft verändert werden kann, dann wenigstens das eigene Bewusstsein.

Rüdiger Maul, Oriental Rhythm Collection - For Percussion Instruments

Rüdiger Maul ist seit Jahren ein international anerkannter Studio-Perkussionist, Dozent an verschiedenen Musik-institutionen und Workshops und seit 2001 Perkussionist der deutschen Mittelalter-band Faun. Aus seiner langjährigen Erfahrung schöpft er das Wissen, das er nun in seinem Lehrbuch für Perkussionsinstrumente gesammelt hat ... mehr

Rüdiger Maul, Oriental Rhythm Collection - For Percussion Instruments. Edition Dux 409, 2007, ISBN 978-3-934958-53-1, €32,80 (inklusive CD & DVD).

Die Hippies hörten meist keine kommerzielle, sondern aus dem "Underground" kommende Musik, die erst später von den Massen vereinnahmt wurde. Nicht die Musik aus den Hitparaden lockte und ergriff sie, sondern Musik, die ihnen aus dem Herzen sprach. Die Hippieszene war musikalisch sehr vielfältig. Die Musikrichtungen reichten von diversen Spielarten der Rockmusik, wie Folk, Space Rock, Jazz Rock, Bluesrock und anderen fortschrittlichen Richtungen über Naturmusik bis hin zu Psychedelic Trance und Progressive Trance, Weltmusik und Reggaeeinflüssen. Generell wurde auf eine harmonische und friedliche Stimmung Wert gelegt.
Während mit "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" das erste Konzeptalbum der Popmusik veröffentlicht wurde, mit den Texten auf der Plattenhülle abgedruckt, schrieb Barry McGuire "Eve of Destruction", eine Protest-Hymne so aktuell wie eh und je. Mit dem Summer of Love 1967 begannen die große Open-Air-Festivals, die in Woodstock gipfelten. Klingt wie Big Business, aber:
Im Vordergrund stand die Musik, das Geschäft war sekundär. Nicht aalglatte Perfektion und glasklarer Sound, sondern Charisma und Unverwechselbarkeit waren die Schlüsselwörter für jene Musik, die eine Generation prägen sollte.

Bernhard Bitzel & Andreas Lutz, Das Ding 3 - Kultliederbuch

Wenn ich mal so eine Generation zurückdenke, als ich zum ersten Mal die Klampfe in die Hand nahm, da hießen die Liederbüchlein "Liederkiste" oder "Liederzirkus". Ihr Erfolgsrezept: ein breites Spektrum an Liedern von Folklore aus aller welt bis zu aktuellen Popsongs, Vermutlich gibt es diese Heftlein immer noch. Mittlerweile haben die Klassiker Konkurrenz bekommen. Das Ding 3 - Kultliederbuch ist z.B. solch ein neuer Versuch, o.g. Spektrum minus der Folklore. Das Spiralbuch enthält über 400 mehr oder weniger bekannte deutsche und englische Songs aus den Bereichen Pop, Rock, und auch Schlager und Country mit Akkorden und Texten (inklusive dem falschen Englisch von deutschen Plattenmillionären). Hits von A wie ABBA und AC/DC bis W wie Wir sind Helden (-> FW#36) und Z wie ZZ Top, von "A Dios le pido" bis "Zwei kleine Italiener", "Guten Morgen, liebe Sorgen" und "Hello Mary Lou" bis "It's the End of the World" und "Wer hat an der Uhr gedreht?". Ein Streifzug durch die Popgeschichte: Mit wenigen Ausnahmen wie etwa "Lili Marleen" und "Over The Rainbow" geht es die 1960er aufwärts, zeitlose Klassiker als auch längst vergessener Popmüll. Und Folk? Nun gut, Chers "Gypsies, Tramps and Thieves" kann man ja seit der Dervish-Version (-> FW#35) dazuzählen; "Black Betty" und "Sloop John B" sind eigentlich ja auch Traditionals. Und irgendwie auch Johnny Cash & Co. (-> FW#37).

Bernhard Bitzel & Andreas Lutz, Das Ding 3 - Kultliederbuch. Edition Dux, 2008, ISBN 978-3-86849-088-6, 408 S, €21,80 (www.kultliederbuch.de)

Was war der Soundtrack der 68er?
Texte und Rhythmen vermittelten den Jugendlichen was wirklich los war in der Gesellschaft. Musik rüttelte auf, regte zum Nachdenken an und traf mitten ins Herz. Und was ganz entscheidend war: Die Musik-Kultur vertrat die gleichen Werte wie ihre Zuhörer. Die Musiker waren auf einer Wellenlänge mit der Jugendbewegung. Es war ein und dasselbe Weltbild, dass beide Seiten hatten, durch das sie geprägt wurden. Die "Musik der 68er" hatte gerade ihre Qualität darin, dass sie zur Gegenkultur gehörte und genau deshalb die Gemeinsamkeit und Integration der Jugendbewegung förderte.
Was war in Deutschland los? Der Generationenkonflikt hieß: der Alte ging ins Bordell, der Junge in den Star-Club. Fasia Jansen sang den "Weltuntergangsblues" (->
FW#35). Die Festivals auf der Burg Waldeck seit 1964 wurden die Wiege des deutschen politischen Chansons (-> FW#32). Das Liedermachertum blühte - bis diese Musikform mit Etablierung des Formatradios immer mehr den Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit verlor.

Der Berliner Nach-68er Daniel Gäsche referiert über die Entstehung der Jugendkulturen, die Ursachen der 68er-Bewegung, das Verhältnis zur Musik, aber auch 68 und DDR, wo es hieß: Mit Beatmusik gegen die Staatsmacht, und die FDJ die Singebewegung startete. In Interviews und Kurzbeiträgen erzählen Prominente Alt-68er wie Barde Reinhard Mey oder Tony Sheridan, wobei die Versessenheit des Autors auf das EINE Lied, die EINE Band etc. ins Leere läuft. Insgesamt aber ein interessantes Buch und eine vergnügliche kultur-historische Lektion.

Auf die Blumenkinder folgten die Militanten, statt Liedern skandierte man Ho Ho Chi Minh! Die Reaktionäre von heute geben daher den 68ern die Schuld für alles, was falsch läuft. Aber was ist wirklich geblieben? Ein freierer Umgang mit der Sexualität, ein kritisches Umweltbewusstsein, die Abkehr vom reinen Fortschrittsglauben ein alternativer Journalismus ...

T:-)M's Nachtwache FW#37
Englische Titel

Und wenn seit 1970 zu Fuß der hessischen Burg Herzberg ein Hippiefestival ein bunt gemisches Publikum - vom Familienvater bis zum Freak - anzieht (beim TFF.Rudolstadt ist es auch nicht anders) lebt der Geist von '68 weiter. Trotz all dem Unsinn, dem Visionären und Illusionären. Danke 1968! Danke 1968er!


Zurück zum FolkWorld-Inhalt
Zur englischen FolkWorld

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2009

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external websites.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld