FolkWorld Ausgabe 33 05/2007; Live-Bericht von Mo Winkler


Clowns im Regen
Der Singende Tresen, Berlin, 08.03.07

Berlin ist von jeher ein gutes Pflaster für Freunde ungewöhnlicher akustischer Musik. Es ist aber schon lange kein gutes Pflaster mehr für die Bands, die sie machen. Ob Tageszeitungen oder sogenannte Stadtmagazine – für die Metropolenpresse zählt nur noch Weltpopkultur oder das, was sie dafür hält. Der New Yorker oder Londoner Underground liegt im Zeitungsblei näher, als die schönsten Blüten der heimischen Off-Szene. So auch an jenem März-Donnerstag. Ebenso einhellig wie sinnfrei haben die Berliner Blätter das bereits ausverkaufte Arctic Monkeys-Konzert zum Tagestipp erhoben, während im Roten Salon der Volksbühne ohne öffentliche Berichterstattung Der Singende Tresen seine neue CD ‚Clowns im Regen’ feiert.

„Ach, wir erwarten da inzwischen auch nichts mehr“, grinst Markus Liske, Satiriker und als Organisator quasi fünftes Bandmitglied: „Zur letzten Scheibe hatten wir in Berlin keine einzige Rezension. Die kommen nur von außerhalb. Hier müssen wir eben mehr auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzen.“ Die wenigstens scheint zu funktionieren. Der Rote Salon ist gut gefüllt, als die Akteure die Bühne betreten.

Der Singende Tresen
www.dersingendetresen.de
Liske macht dabei den Anfang. „Normalerweise müssen Vorgruppen schlechter singen als man selbst und die Instrumente schlechter beherrschen“, erläutert er dem Publikum, „so ist Der Singende Tresen auf mich gekommen. Ich spiele überhaupt kein Instrument, und singen kann ich auch nicht.“ Was Liske stattdessen kann, ist, sich mit galligem Witz über Tagespolitik zu verbreiten. Und das tut er. Oskar Lafontaine wird beim Versuch, Fidel Castros Nachfolge anzutreten, von einer amerikanischen Fernlenkrakete gestoppt, in den Blumentöpfen der Familienministerin werden ein paar weitere Kinder entdeckt, und Angela Merkel wird für einen symbolischen Euro an einen Templiner Spargelbauern verkauft.

Gelächter und rasender Beifall. In den hinein kommt wortlos die Band auf die Bühne und Klarinettist Thorsten Müller lässt das unglaublich traurige Intro des Songs ‚Clowns im Regen’ ertönen, mit dem auch die gleichnamige neue Tresenscheibe beginnt. „Die Jackentaschen voller Traurigkeiten“, haucht Manja Präkels in ihr Mikro, und: „Wer weint, wird schneller einsam, als wer lacht.“ Das ist die Spirale vom großen Lachen über die Verhältnisse tief hinab in den Keller persönlichen Elends in Zeiten von Globalisierung und Hartz IV. Und das ist auch die Spannbreite, die Der Singende Tresen in den folgenden zwei Stunden abdeckt.

Gespielt wird an diesem Abend die komplette neue CD, das Beste des Vorgängers ‚Sperrstundenmusik’ und auch ein paar ganz neue Titel. Schonungslose Sittengemälde unserer Zeit, sind es, die da vorgestellt werden, mal komisch, mal traurig und meist beides zugleich. Sängerin Präkels – an diesem Abend als einzige mit der Clownsmaske, die auch auf dem CD-Cover zu sehen ist – singt, röhrt oder schmeichelt Texte in den Saal, denen man immer anmerkt, dass ihre erste Profession das Schreiben war, der sie auch jenseits der musikalischen Umsetzung weiter nachgeht. Dem Gedichtband ‚Tresenlieder’ (Edition AV) von 2004 soll nun der Roman ‚Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß’ folgen. Ein Erinnerungsbuch über ihr Aufwachsen zwischen Neonazis im Brandenburg der Neunziger Jahre soll es werden, für dessen Fertigstellung sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste erhielt, wie sie mir später erzählt.

Diese literarische Perspektive wird auch in den Liedtexten deutlich. Sie sind politisch ohne Weltverbesserungsattitüde, witzig jenseits aller Kalauer und melancholisch ohne Pose. Alles was zu Sprache kommt, wird gebrochen, gespiegelt, ironisiert. Das Mitsingen dieser Lieder soll nicht das Nachdenken ersetzen, keine Illusion einer gemeinsamen Welthaltung erzeugen, wie das sonst so üblich ist, wenn eine Band für politisch erklärt wird, sondern irritieren. Der Singende Tresen Liebesleid-Wehwehchen und Gutmenschen-Perspektive sind ihre Sache nicht. Schon deshalb wird Der Singende Tresen niemals Popkultur sein. Daran lässt allerdings auch die Musik keinen Zweifel. Da mischt sich Chanson mit Jazz und Folk. Es finden sich Klezmer-Passagen in den schnelleren Titeln und Blues-Linien führen zu Tango- oder Walzer-Rhythmen.

Jeder Song ist ein diffiziles Kunstwerk. Dem tut auch die Tatsache kein Abbruch, dass die Band sich im letzten Jahr verkleinerte. Im Gegenteil: Thorsten Müller – Komponist der meisten Tresen-Songs – erweist sich im schnellen Wechsel zwischen Klarinette, Akkordeon, Piano und Percussion als musikalisches Multitalent. Bei aller Kreativität der Arrangements bleibt die Band jedoch immer im Rahmen des Folk-Spektrums, statt sich in avantgardistischer Verkopfung zu verschließen. Die rhythmische Basis dafür liefern der brillante Jazz-Kontrabassist Benjamin Hiesinger (‚subtone’, ‚Inner Shape’) und Tresen-Gründungsmitglied Matthias Rolf an den Gitarren. Kein wirklich leichter Job, denn einen Schlagzeuger hat die Band nicht. Den braucht sie allerdings ebenso wenig wie digitale Pop-Spielereien. Um es mit den Worten eines älteren Jazzers neben mir zu sagen: „Die schwingen ja richtig!“ Deshalb wird beim schnelleren zweiten Teil des Sets dann auch noch kräftig getanzt.

Alles in allem: Ein grandioses Konzerterlebnis. Aber eben kein Pop, nicht mal das sonst übliche Flirten damit, und deshalb vermutlich chancenlos in der fest geprägten öffentlichen Wahrnehmung. „Wie lange hält man das durch?“, frage ich Manja Präkels am Ende des Abends. „Wir sind jetzt im siebten Jahr“, lautet ihre Antwort. Sie grinst. Ihre Clownsmaske wirkt fast ein wenig diabolisch, als sie anfügt: „Vielleicht gehören wir ja gar nicht zu den Letzten, sondern schon wieder zu den Ersten?“ Was zu hoffen bleibt.

Photo Credits: (1) Der Singende Tresen (website); (2) (Mo Winkler).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 05/2007

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