FolkWorld Ausgabe 32 12/2006; Live-Bericht von Karsten Rube


Leidenschaft mit Anlauf
Carlos Nuñez, Passionskirche Berlin, Februar 2006

“Wir spielen keltische Musik mit Leidenschaft”, sagt der galizische Dudelsackspieler Carlos Nuñez in geübtem Deutsch bei seinem Konzert in der Berliner Passionskirche am 3. Februar 2006. Er braucht an diesem Abend lange, um dies zu beweisen.

Galicien, im Nordwesten der iberischen Halbinsel gelegen, schaut grün und verregnet auf den Atlantik. Carlos Nuñez ist der bekannteste Vertreter der dortigen traditionellen Musik, die zwischen den Grenzen des keltischen Okzidents und den maurisch orientalischen Einflüssen in Spaniens Süden wandelt. Carlos Nunez Seine musikalischen Wanderungen führten ihn genauso nach Irland, wo er mit den Chieftains spielte und mit Sharon Shannon, wie nach Schottland und der Bretagne, aber auch ins Baskenland, nach Katalanien, Kastilien und Andalusien. Von überall her nahm er Impressionen mit, manchmal auch Künstler, die mit ihm musizierten. So standen ihm der Baske Kepa Junkera, die Musiker von Berrogüetto aus Galicien, die irischen Chieftains oder der Bretone Dan Ar Braz zur Seite und manchmal gelang es ihm auch eine der unverwechselbaren Stimmen Portugals mit auf Tour zu nehmen.

In der Passionskirche beschränkt er sich auf eine abgespeckte Bandvariante. Sein Bruder Xurxo rührt auf den Trommeln rum, Pancho Alvarez spielt die Mandoline, Begonia Riobo singt und geigt fröhlich und Carlos Nuñez spielt alle Arten von Blockflöten und natürlich seine Gaita, die galizische Form des Dudelsackes. Hinzu kommt ein leider störendes Halbplayback aus Bassgewummer und Orgelgedöns, das der Meister nun wirklich nicht nötig hat.

Den ersten Teil des Abends gestaltet er ruhig und verhalten, beinahe etwas lustlos. Die Leidenschaft scheint aufs handwerkliche herabgebremst. Die langen Ansagen und getragenen Melodien stoßen auf ein weitgehend begeisterungs-resistentes Berliner Publikum jenseits der Vierzig, deren Interesse eher der keltischen Musik Irlands und Schottlands gilt. Der Applaus ist höflich und nur bei den Worten Irland und Chieftains aufbrausend. Zum Ende des ersten Blocks hin gibt es verschränkte Arme.

Als Pausenmusik dient das geistlose Gejammer von Sinead O’Connor. Manch Gast trinkt sich vorsätzlich in Stimmung. Carlos Nuñez nutzt die Pause selbst dazu, sich darüber klar darüber zu werden, was hier noch machbar ist. Wenn man weiß, welche Begeisterung er auszulösen in der Lage ist - man denke an sein Konzert beim TFF Rudolstadt, wo er mit den Chieftains antrat oder sein auf DVD erschienenes Livespektakel in Vigo -, dann hofft man doch sehr, dass er in Berlin wenigstens im zweiten Teil den Turbo zündet.

Was er auch tut. Einige seiner erfolgreichsten Lieder spielt er im Laufe des Abends. Den “Flight of the Arrow”, Bachs Cellosonate auf dem Dudelsack, Ravels “Bolero” scheint einzig und allein für dieses Instrument geschrieben zu sein und nicht fehlen darf die Filmmusik zum Oscar-gekrönten Film “Mar adentro” des neuen spanischen Regiewunderkindes Alejandro Amenábar. Mit einem bretonischen Tanz zwingt er das Publikum aufzustehen. Zum Setzen kommt anschließend kaum noch einer, denn im zweiten Teil des Abends liefert er im Wesentlichen nur noch stimmungsexplosive Kompositionen, die das Publikum auch tatsächlich erreichen. Carlos Nuñez zündet schließlich, wie von ihm erwartet. Stehender Applaus begleitet seine Verabschiedung und zwingt ihn erneut auf die Bühne.

Am Ende ein ganz angenehmer Abend, doch leider nicht das überschäumende Stimmungserlebnis, das ich erwartet hatte.

Website: www.carlos-nunez.com

Photo Credit: Carlos Nuñez (taken from website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2006

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