FolkWorld Ausgabe 32 12/2006; Live-Bericht von Karsten Rube


Mit kariertem Fadoschal
Misia, Postbahnhof Berlin, Januar 2006

Selten habe ich die Diva des Fado, als die sich die portugiesische Sängerin Misia so oft zelebrierte, so entspannt, publikumsnah und warmherzig erlebt wie an diesem eiskalten 25. Januar 2006 auf der Bühne des Postbahnhofs in Berlin. Und gerade Wärme, das hatte das Publikum bitter nötig, denn der Veranstaltungsort ist eine unbeheizbare Rumpelbude und nicht nur temperaturmäßig unterkühlt. Ein wenig mehr Plüschigkeit wäre ihrer Musik angemessen gewesen. Doch das Publikum besitzt ja Mütze, Jacke und Schal.

Misias aktuelles Programm “Drama Box Hotel” ist auf ihr aktuelles Album “Drama Box” zugeschnitten, ein Album, das sie von der ausschließlich fado-orientierten Sängerin entfernt und sie mehr zur Misia, www.misia-online.com Chanteuse werden lässt. Bereits mit dem vorhergehenden Album “Canto” tat sie den ersten Schritt in diese Richtung, weg von der Eingrenzung als Fadista. Beide Alben sind kunstvolle und doch sinnliche Sammlungen von Liedern, an denen anerkannte Literaten wie der Literaturnobelpreisträger José Saramago und Musiker, wie Carlos Paredes Anteil hatten, aber auch Klassiker wie Fernando Pessoa und Astor Piazzolla in Wort und Musik zitiert werden.

Misia ist gebürtige Katalanin, lebt zeitweise in Paris und liebt die Musik Portugals. Mühelos wandert sie zwischen Bolero, Tango und Fado hin und her. So begann sie an diesem Abend mit zwei spanischen Liedern, mit denen auch ihre CD “Drama Box” beginnt. Im schwarzen, glänzenden Kostüm betrat sie die Bühne, anders als sonst, nämlich nicht barfuß, sondern in eleganten Schuhen, ihre Hände in roten Handschuhen und eine Kette aus roten Perlen um den Hals. Doch dann, als sie den spanischen Teil erst einmal beendete, sich zur Saudade der Portugiesen hinwandte, legte sie alles Rot ab, bis auf den Blutton ihrer Lippen.

Sie gestand, dass sie ihren Fadoschal im letzten Hotel vergessen hat, ein schwarzes umhangartiges Tuch mit vielen Fransen an den Rändern. Ein Utensil, das die Fadosängerin benötigt, damit sie sich bei den ergreifenden Lieder hineinkrallen kann. Kaum hatte sie diesen Verlust beklagt, flog ein Schal auf die Bühne, gespendet von einem älteren Fan. Erfreut legte sie sich den Schal um und konnte sich ganz auf den Gesang konzentrieren, denn nun war sie komplett, weitgehend schwarz, bis auf den Vliesschal aus dem Publikum, der ein dezentes Karomuster aufwies.

Misia präsentierte sich nicht nur von ihrer bekannten und immer wieder überwältigenden Interpretationsstärke, sondern vor allem in erstaunlicher Plauderlaune. Sie lachte, machte Scherze, reagierte auf Publikumseinwürfe und gab sich überhaupt sehr zugänglich. Die Musiker, vom Pianisten über die klassische Fadoinstrumentierung mit drei Gitarren bis hin zum Stehgeiger im weißen Anzug, hielten sich dezent zurück und überließen ihr das Feld.

Ein frierendes Publikum, das bis zum letzten Ton ausharrte schien Misia zu beeindrucken. Überhaupt fehlte ihr diesmal diese divenhafte Entrücktheit, die ihre Konzerte in der Philharmonie so distanziert wirken ließen. An diesem Abend stand eine in Schönheit gereifte Frau auf der Bühne, die mit sentimentalen und leidenschaftlichen Liedern ihre eigene Freude auf ihr Publikum übertrug und damit den Frost für eine Weile ausblendete.

Sie verabschiedete sich mit einer sehr kraftvollen Interpretation der Astor Piazzolla Komposition “Maria del Buenos Aires”. Den Schal durfte sie behalten, wofür sie sich mit einem Kuss beim Spender bedankte. Ein bedauerndes Raunen, nicht selbst Schalspender gewesen zu sein drang aus verschiedenen Kehlen.

Website: www.misia-online.com

Photo Credit: Misia (taken from website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2006

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