FolkWorld Live Review von Wolfgang Überreiter

21e recontre Lutherie Dancerie Met Müsik in Lautenbach
Pfingsten 2005


Bereits zum einundzwanzigsten Mal ging an Pfingsten das Folkfestival von Lautenbach über die Bühne. Was 1983 als regionales Musikertreffen begann, lockte diesmal fünfzig Gruppen aus dem Elsass und Lothringen, aus Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien an. Das Programmblatt zählte einundsechzig unterschiedliche Instrumente auf. Ausnahmezustand in dem verschlafenen Elsassnest am Rand der Vogesen.

Danach sah es anfangs allerdings gar nicht aus. Am Freitag um 20:30 Uhr, dem offiziellen Beginn des Eröffnungskonzerts, war das Zelt am alten Bahnhof leer. Saßen die Zuschauer noch beim Abendessen? Weder die Veranstalter noch die Musiker schien das zu beunruhigen, und wirklich: ein halbe Stunde später waren alle Plätze besetzt.
Danièle Fuchs, Präsidentin der "association Stockbrunna", jener Vereinigung von Musikbegeisterten, die das Festival von Anfang an ausrichten, und Gerard Schaffhauser hielten eine lockere Eröffnungsansprache, und die erste Band konnte loslegen.

"Din Delòn" aus Norditalien erklomm die Bühne. Drehleier, Akkordeon und Gitarre, eine typische Bal Folk - Besetzung, aufgepeppt durch die außergewöhnliche Sängerin Simona Scuri. Mit ihren traditionellen Tänzen, den zwei- bis dreistimmigen Balladen aus der Lombardei und dem Piemont und vielen Eigenkompositionen hatten sie das Publikum schnell erobert. Dabei kokettierten sie gern mit der italienischen Vorliebe für tragische Liebeslieder. Ein abwechslungsreicher, lebendiger Auftritt. Die Gruppe spielte hier übrigens zum dritten Mal und wurde durch Lautenbach inspiriert, selbst ein Festival ins Leben zu rufen, welches jedes Jahr im September in Suisio bei Bergamo stattfindet.

Die nächste Band hatte ein Heimspiel. Keyboarder, Geiger und Gitarrist kamen aus dem Umfeld des Organisationskomitees. Verstärkt wurden sie durch Andrea Capezzuoli, dem Akkordeonist von "Din Delòn". Ihrem seltsamem Namen "Les chaussettes du diable (die Socken des Teufels)" wurden sie nicht nur durch schwarzrote Socken gerecht. Auf ihren Köpfen blinkten rote Plastikhörner, auf den T-Shirts züngelten Höllenflammen, überall auf der Bühne lagen aufblasbare Teufelsutensilien.
Die Gruppe spielte Musik aus Quebec, dem französisch sprechenden Teil Kanadas, eine Musikrichtung, die auf keinem französischen Festival fehlen darf. Teuflisch wurde es vor allem, wenn der Geiger oder der Akkordeonist zu furiosen Eskapaden ansetzten. Ihr Humor kam an beim Publikum, das sie nicht ohne Zugabe von der Bühne ließ. Zum Ausklang des Abends wurde der neue Tanzboden mit einem kleinen Bal Folk eingeweiht.

Samstag, der erste "richtige" Festivaltag. Seit dem frühen Morgen waren die Helfer dabei, Bühne, Bänke und Stände aufzubauen. Sie schauten ein ums andere Mal zum Himmel, der heute die Sonne nicht durchlassen wollte, dafür jede Menge Regengüsse. Wahrscheinlich einer der Gründe, warum die Zuschauer eher zögerlich eintrafen. Als um 15:00 Uhr "Pas d'Accords" ihr reines à cappella Programm im Kirchhof darboten, waren die meisten Bänke noch leer. Voller wurde es bei "Extra Drai" aus Frankfurt mit ihrer frankophilen Mischung aus traditionellen Tänzen, Balladen und Eigenkompositionen, meist in der Besetzung Akkordeon, Drehleier, Gitarre und mehrstimmigem Gesang.

Auf der anderen Seite der Kirche, "unter den Linden", bemühten sich mehrere Irish-Folk Bands, ihr Publikum vor der zugigen Bühne zu halten.
Fünf Fußminuten entfernt, im Zelt vor dem alten Bahnhof, konnte man dieses Jahr zum ersten Mal auch nachmittags schon tanzen. Gut geschützt vom strömendem Regen spielten dort um 18:00 Uhr "Saitenfell und Firlefanz" aus Stuttgart, die Nachfolgegruppe von "Linnenzworch", verstärkt durch Ute Überreiter von "Extra Drai" an der Geige. Ein abwechslungsreiches Bal folk Programm, bei dem besonders Angelika Maiers Hackbretter klangliche Akzente setzten.
So ging der Nachmittag zu Ende. Für den Besuch der Tanzworkshops im alten Bahnhof und der Ausstellungen der Instrumentenbauer war keine Zeit geblieben.

Der Abend stand wie immer ganz im Zeichen des Tanzes. Viele Hunderte von Tanzbegeisterten pendelten zwischen dem großen Saal des alten Bahnhofs und dem Zelt davor, wobei die Bands stündlich wechselten. Ein Höhepunkt war sicherlich das unscheinbare Duo "Digor Kalon" aus dem Breisgau. Britta Irslinger spielte eine schwer intonierbare Holzquerflöte, meist jedoch sang sie mit kräftiger Stimme nicht enden wollende bretonische Tanzlieder, begleitet lediglich durch den Ausnahmegitarristen Fabien Simon. Unermüdlich schlängelten sich die Tanzketten durch das Zelt, nicht wenige gerieten in einen trance-ähnlichen Zustand.
Im Saal spielte unterdessen die schweizerische Gruppe "Husmusik Jeremias", ganz traditionell alpenländisch mit Geigen, Kontrabass und Klarinette.
Es wurde eine lange Nacht. Als mit "AOK" aus dem Rhein-Main-Gebiet die letzte Band begann, war der Saal immer noch gut gefüllt. Das angejazzte Programm mit Akkordeon, Drehleier, Saxophon und E-Bass hielt die Tänzer bis 4:00 Uhr morgens auf Trab.

Der Sonntag brachte neben viel Musik endlich auch die Sonne. Einige Gruppen gaben ein zweites Konzert. Mit der Kirche stand heute sogar noch ein weiterer Auftrittsort zur Verfügung, naturgemäß für die leiseren Töne. So spielte beispielsweise Jean-François Alizon auf Renaissance-Flöten, José Ignacio H. Toquero sang Lieder vom Jakobsweg zur Gitarre. Draußen herrschte eine entspannte Stimmung. Man schlenderte gemütlich von Bühne zu Bühne, lauschte bei merguez frites dem mehrstimmigen Gesang der "Blue Blistering Barnacles", bestaunte die kunstvollen Schlüsselfideln von Jean-Claude Condi oder tanzte einen Schottisch zu den Klängen von "Stanza", einer Gruppe aus dem Kreis der Veranstalter.

Auch am Abend wurde noch mal ausgiebig getanzt und obwohl der Pfingstmontag in Frankreich kein Feiertag mehr war, endete die letzte Band erst um 1:30 Uhr.

Einmal mehr war es den Organisatoren mit großem persönlichem Einsatz gelungen, ein attraktives Festival auf die Beine zu stellen, das neben aller Professionalität seine herzliche, familiäre Note wahren konnte. Die Tage voller Musik ließen den Alltag vergessen und gaben Anregung und Inspiration.

 


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 1/2006

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