FolkWorld Artikel von Axel Schuldes:

Axel Schuldes'
Folk aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik - CDs vom 2. Halbjahr 2004

Fünf Jahre ist es nun schon her, dass das All-Star-Trio Chulrua sein Debütalbum Barefoot on the Altar veröffentlicht hat. Die Einspielung blieb leider eher ein Geheimtip, obwohl mit Paddy O'Brien (Akkordeon), Tim Britton (Uilleann Pipes, Flöten) und Pat Egan (Gitarre, Gesang) drei der besten Musiker der iro-amerikanischen Szene am Start waren. Mit Down the Back Lane setzen sie nun wieder auf das gleiche Konzept, eine Mixtur aus Instrumentalstücken und Songs (u.a. "The Foggy Dew" und Peggy Seegers "Springhill Mine Disaster"). Paddy O'Brien verfügt über ein gigantisches Repertoire an Tunes, von denen viele rar und nur sehr selten zu hören sind. Einige von diesen gibt er hier zum besten. Es ist der zweiten Chulrua-CD zu wünschen, dass sie - mit Unterstützung des renommierten Shanachie-Labels - über den Geheimtip-Status weit hinausschnellt. Verdient hätte sie es durchaus.

Capercaillie 1995, photo by The MollisDas Debütalbum von Lúnasa katapultierte die irische Supergruppe Ende 1997 umgehend in den Olymp der keltischen Musikszene. Das englische Rock-Fachmagazin MOJO konstatierte, dass es rund zwanzig Jahre gedauert hatte, bis nach den großen Tagen der legendären Bothy Band eine ähnlich energiegeladene Virtuosen-Formation Folk- und Rockfreunde gleichermaßen überwältigen konnte. The Kinnitty Sessions - die fünfte CD mittlerweile - wurden quasi live im Kinnitty Castle in Irland eingespielt. Was der Philosophie der Gruppe, ihr spontanes, unmittelbares Zusammenspiel ohne Funkenverlust in Top-Studioqualität aufzuzeichnen, optimal entgegenkam. Trevor Hutchinson (Bass), Donogh Hennessy (Gitarre), Cillian Vallely (Pipes), Kevin Crawford (Flöte) und Seán Smyth (Fiddle) entfachen ein sowohl druckvolles wie auch filigranes Feuerwerk, das mehr ist als die bloße Summe dessen, was fünf Überflieger musizieren, wenn sie gleichzeitig in einem Raum sind. Diese Individualisten verstehen sich auf Ensemblespiel von selten gehörter Faszination, sie sind eine der wenigen "richtigen" Gruppen, die es heutzutage noch gibt. Wäre Planxty nicht wiederauferstanden, so wäre Mozaik die einzige ernstzunehmende Konkurrenz weit und breit. Richtig grosse Klasse!

Eine andere keltische Topformation, Capercaillie aus Schottland, feiert bereits ihr zwanzigjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass erschien die Doppel-CD Grace and Pride, eine Anthologie, auf der Stücke von sämtlichen 15 Alben der Band vertreten sind. Um nicht nur neue Freunde zu gewinnen, sondern auch die Fans zu ködern, wurden zudem diverse Raritäten eingestreut wie z.B. "The Snuff Wife Jigs", "Clo Mhic Ille Mhicheil" und "The Little Cascade".

Dafür, dass auch das irische Element bei Capercaillie hochkarätig vertreten ist, steht Mánus Lunny, seines Zeichens Bouzoukispieler und Visionär. Wenn er mal bei Capercaillie eine Auszeit nehmen kann, dann kümmert sich Mánus Lunny mit Vorliebe darum, die Musikszene Donegals zu stärken und zu fördern. Das jüngste Resultat ist verbüffenderweise die gemeinsame CD zweier Schotten, Ian Smith & Stephen Campbell... die jedoch seit vielen Jahren schon im Nordwesten Donegals leben und musizieren. Campbell ist ein vorzüglicher Fiddler, Smith ein hervorragender Gitarrist und Sänger. Produzent Lunny konnte für die Aufnahmen zu Keadue Bar so illustre Gäste wie Mairéad Ní Mhaonaigh und Dermot Byrne von Altan und Phil Cunningham gewinnen, die einige zusätzliche attraktive Klangfarben einbrachten.

Wer Stimme und Vortrag von Norma Waterson oder der jungen Dolores Keane über alle Maßen schätzt, dem sei The Holland Handkerchief von Mary McPartlan mit vollem Nachdruck ans Herz gelegt. Auf der CD steht zwar die Jahreszahl 2003, offiziell wirklich erschienen ist sie aber meines Wissens erst Mitte 2004. Was für eine Stimme, was für ein Repertoire, was für Begleitmusiker! Toll, dass es alle paar Jahre doch noch solche Entdeckungen zu machen gilt. 1970 war es, da sang der große Luke Kelly "The Peat Bog Soldiers" ("Moorsoldaten"), jenes erschütternde Widerstandslied, das in einem der sogenannten Emslandlager entstand. Die Version der Dubliners setzte Maßstäbe, aber Mary McPartlans Interpretation steht dieser in nichts nach, sie ist schlicht ergreifend. Auch an Shane MacGowans "Rainy Night in Soho" hat sich seit 1986 schon so manch einer versucht - die definitive Coverversion ist ab sofort jedoch die von Ms McPartlan. Neben einigen Dervish-Musikern steuerten Mairtín O'Connor, Paddy Keenan und Cathal Hayden ihre Talente zu diesen Ausnahme-Aufnahmen bei. Weitere Anspieltips: "Johnny Lovely Johnny" und "Lovely Sailor Boy" - ganz gross!

Bríd Ní Mhaoileoin, press picBei dem Stichwort "tolle Frauenstimmen" fällt mir sogleich noch Ar Mhuin na Muice ein, die Debüt-CD von Bríd Ní Mhaoileoin, die sie gemeinsam mit Alan Burke eingespielt hat (ehemals Gitarrist und Sänger bei Afterhours). Die meisten Lieder sind in irischer Sprache, aber auch zwei englische Songs finden sich hier. Einer der beiden, "The Fuschia", entwickelt regelrechte Ohrwurmqualitäten und will einem kaum noch aus dem Kopf gehen - was aber sicher auch dem exquisiten Vortrag von Bríd Ní Mhaoileoin zuzuschreiben ist. Wer bedauert, dass Clannad Anfang der 80er ins Celtic New Age abdrifteten, und vielmehr jene delikate Musik schätzt, die die Gruppe in der zweiten Hälfte der 70er zelebrierte, ja der wird an dieser CD hier sein helle Freude haben. Tommy Sands zählt zu den Fans der Sängerin (Zitat: "...voice impatient for fun and breathless with sweet huskiness..."), richtig gut auf den Punkt gebracht hat's aber die gute alte Irish Times: "A singer with an unquenchable fire in her belly!"

Vor rund drei Jahren wurden die ersten vier LPs von Pentangle in ansprechenden CD-Versionen wiederveröffentlicht. Vor einem Jahr wurde dann noch Album # 6 nachgereicht (Solomon's Seal, 1972 auf Reprise erschienen). Album # 5 jedoch (das letzte für Transatlantic Records) schien einer Neuauflage nicht für würdig befunden worden zu sein. Zwar lässt sich sicherlich fürtrefflich darüber streiten, ob mit Reflection das hohe Niveau der ersten vier Platten gehalten wurde, aber immerhin stellte die LP so etwas wie den schlüssigen Endpunkt einer in sich stimmigen Entwicklung dar (der Titel Reflection war mit Sicherheit ganz bewusst gewählt worden). Es kann aufgeatmet werden, das Werk von 1971 liegt jetzt in sehr guter Überspielung als CD vor, mit ausführlichen Liner Notes aus der Feder des Experten Colin Harper und vielen hübschen Fotos aus jenen Tagen. Ebenfalls auf Transatlantic Records erschien 1976 einer der übersehenen und verschollenen Klassiker des Folk Rock, The Fiddler's Dream von Dransfield. Hinter diesem Bandnamen verbargen sich der Multi-Instrumentalist Barry Dransfield und sein Bruder Robin (Gesang & Gitarre) nebst Brian Harrison (Bass & Keyboards) und Charlie Smith (Drums). Seit Beginn der 70er spielten die Dransfields eine wichtige Rolle auf der englischen Folkszene. Rout of the Blues wurde 1970 vom Melody Maker zum Folk-Album des Jahres gekürt. Lord of All I Behold (1971) veranlaßte Ashley Hutchings, die Brüder unbedingt zum Einstieg bei Steeleye Span gewinnen zu wollen (was ihm bekanntermaßen nicht gelang). Im Gegensatz zu anderen Folk Rock-Formationen, die sich noch weitgehend auf die Elektrifizierung traditionellen Materials konzentrierten, entwickelten die Dransfields eigene Songs und erreichten mit dem Konzeptalbum The Fiddler's Dream einen kreativen Höhepunkt in ihrem Schaffen - von der Kritik hoch gelobt, aber leider nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne nennenswerte Verkaufszahlen. Umso mehr ist es als verlegerische Großtat zu loben, dass Sanctuary Records diesen Meilenstein 1:1 restauriert, mit einem vorzüglichen Booklet versehen und um eine Bonus CD erweitert hat. Anlässlich der ersten (halbherzigen) Wiederveröffentlichung im Jahr 1990 empfahl Robin Dransfield: "Listen and wonder ..." Und das gilt heute erst recht!

The Land of My Childhood ist ein 6-Track-Album der Mainzer Gitarristin und Sängerin Annette Degenhardt. Dass sie Irland so tituliert geht absolut in Ordnung, hat sie doch von Kindesbeinen an einen großen Teil ihrer Zeit mit ihren Eltern - Gertrude und Martin Degenhardt - an der Westküste der Grünen Insel verbracht. Und sie lebte mitten drin in dieser Musik, die ihr nur so zuflog von den ganz Großen wie z.B. Micho Russell. Längst spielt und singt Annette Degenhardt die Melodien und Lieder genauso verwurzelt und virtuos wie ihre irischen Freunde und Vorbilder. Und sie nimmt sich die gleichen kleinen Freiheiten im Umgang mit ihrem Repertoire. Das ist gut so und das muss auch so sein, anders wär's nicht irisch. Nur so macht die Wiederbegegnung mit "I Live Not Where I Love" oder mit "Sí Beag, Sí Mór" Freude. Bescheiden legt uns Annette Degenhardt ein kleines Juwel vor, nicht zwölf oder fünfzehn Songs, nein "nur" sechs. Das ehrt sie. Eine CD auch für die Augen: Das wunderbare Covermotiv stammt von Gertrude Degenhardt. Auch sie liebt Irland. Unübersehbar.

Zwar haben die Kolleginnen und Kollegen vom Folker! zwei der wichtigsten deutsch-irischen CDs dieses Jahres bereits gebührend gewürdigt, aber doppelt hält ja bekanntlich besser. Also: Das Trio Iontach belegt mit The Half Gate eindrucksvoll und begeisternd, wie exzellent auch Irish Folk aus deutschen Landen sein kann. Klar, dass dahinter auf jeden Fall Leute aus der Champions League stecken, namentlich Angelika Berns, Siobhán Kennedy und Jens Kommnick. Der Anteil an Liedern bzw. Instrumentals ist etwa 50/50. Auch ansonsten ist für viel Abwechslung gesorgt, da alle drei eine Vielzahl an Instrumenten spielen und das komplette Spektrum an Stimmungen und an Tempi aufgeboten wird. In der gleichen Liga spielt Cara, ein neues Quartett um die "More Maid" Gudrun Walther (Gesang und Fiddle). Ausgangspunkt ist zwar auch auf In Colour feinster Irish Folk, aber was Cara da so zu Gehör bringt, das ist letztendlich ganz eigene eigenwillige Musik. Mal vertrackt, mal einschmeichelnd, mal kompliziert, mal schlicht, mal keltisch, mal eher nicht. Immer spannend und zu jeder Sekunde originell. Mit Sandra Gunkel (Gesang & Keyboards), Claus Steinort (Flöten) und Jürgen Treyz (Gitarren) ist Cara auch auf allen übrigen Positionen top besetzt, so dass die CD Lust darauf macht, die Band einmal live im Konzert zu erleben. Und auch deshalb: Anam Cara ist gälisch und bedeutet verwandte Seele, Cara heißt Freund. In diesem Sinne also: Das Beste für das kommende Jahr wünscht allen Leserinnen und Lesern, allen verwandten Seelen und Freunden Ihr bzw. Euer

Axel Schuldes

Photo Credit: (1) Capercaillie, by The Mollis; (2) Bríd Ní Mhaoileoin, press photo


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 1/2005

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