FolkWorld-Artikel von Willi Dommer:

Phantastische Mythen und rasante Rhythmen
30 Jahre Irish Folk Festival

Deutsche lieben irische Folkmusik. Niemand kennt den Grund für diese überaus starke Affinität. Denn welche Klänge und Rhythmen die alten Kelten hierzulande in der Eisenzeit bevorzugten, weiß heute keiner mehr. Aber es zieht die Hiesigen geradezu magisch nach Irland, Schottland, Wales oder in die Bretagne. Oder zu Events wie dem „Irish Folk Festival“, das in diesem Jahr zum 30. Mal in Deutschland und der Schweiz über die Bühne geht.

Als das „Irish Folk Festival“ vor 30 Jahren hierzulande erstmals über die Bühne ging und geradezu ein musikalisches Erdbeben auslöste, taten viele Kritiker den grandiosen Erfolg der Debüt-Tournee als bloße Modeerscheinung ab. So was flacht irgendwann mal ab, wurde den Organisatoren prophezeit. Eamon Galldubh & Paddy Keenan, IFF 2003 Doch auch nach drei Jahrzehnten ist die Liebe des deutschsprachigen Publikums zur irischen Musik ungebrochen. Nach der gigantischen Welle von damals hat sich der Zuspruch zum Festival mittlerweile auf einem gesunden Level konsolidiert.

Selbst die Veranstalter haben sich oftmals gefragt, warum die keltische Musik gerade auf Deutsche eine derartige, bislang ungebrochene Faszination ausübt. Sind es die phantasievollen, oft skurrilen Mythen, die sich um die „grüne Insel“ ranken und oft auch zu Themen der Songs werden? Ist es der rasante Rhythmus der Jigs und Reels, der sich für viele so wohltuend von Schunkelmusik und martialischen Märschen unterscheidet? Oder ist es die beneidenswerte Bedeutung, die traditionelle Folkmusik in Irland bei allen Altersklassen und Gesellschaftsschichten genießt? Immerhin ist in dortigen Schulen das Erlernen der blechernen und doch so lieblich klingenden Tin Whistle ein durchaus beliebtes Unterrichtsfach, während jungen Menschen hierzulande die alten Weisen eher peinlich sind? Oder ist es die eigene keltische Vergangenheit, die auch musikalisch ihre archetypischen Spuren in der mitteleuropäischen Seele hinterlassen haben mag? Die Festival-Organisatoren haben diese Frage im Programmheft von 1988 angerissen, aber nicht beantworten können. Es ist wohl eine Herzensangelegenheit – jenseits rational-historischer Erwägungen.

Begründet wurde das Irish Folk Festival im Jahre 1974 von Carsten Linde. Er war bei seinen Planungen stets auf einen Mix aus Stars und Newcomern bedacht und hat vielleicht sogar den Grundstein zu mancher musikalischen Karriere gelegt. Weit über 100 Gruppen und 500 Musiker, Tänzer und Sänger tourten in diesem Rahmen durch den deutschsprachigen Raum: Berühmtheiten wie Clannad [-> FW#6], De Dannan, Eddie & Finbar Furey [-> FW#9], Micho Russel, Liam O’Flynn [-> FW#27], Micho Russell, IFF Altan [-> FW#22], Paddy Keenan [-> FW#27], Dolores Keane, Martin O‘Connor [-> FW#24] und viele andere. Ich selbst habe 1988 beim Irish Folk Festival in Freiburg zum ersten Mal den begnadeten Dudelsackspieler Davy Spillane [-> FW#11] erlebt, dessen virtuose und zugleich gefühlvolle Musik mich nie wieder losgelassen hat.

Vor fünf Jahren hat Carsten Linde sich „zur Ruhe“ gesetzt und die Leitung an Petr Pandula übergeben [-> FW#11], der kurz zuvor die „St. Patrick’s Day Celebration“, ein Musik-Festival zu Ehren des irischen Nationalheiligen, ins Leben gerufen hatte. Der gebürtige Tscheche lebt mittlerweile in Irland, im Folk-Mekka Doolin, und ist mit einer Irin verheiratet. Aus Anlass des 30. Jubiläums hat der jetzige „Chef“ ein Super-Event auf die Beine gestellt. „Celtic Legends“ – so der Titel der Tour – präsentiert mit dem „Fiddle-Champion“ Stephen Campbell und dem Gitarristen/Sänger Ian Smith [-> FW#25] zwei der treibenden Kräfte der Folk-Szene im nord-westlichen County Donegal. Die beiden präsentieren treibende Fiddletunes, aber auch traditionelle Lieder voller Tiefgang, Gefühl und Leidenschaft.

Mit der irisch-amerikanischen Formation „Solas“ [-> FW#22] haben die Organisatoren eine wahre „Supergroup“ an Land gezogen. Es gibt wohl keine andere Folk Band, die sowohl in Irland als auch in Amerika gleichermaßen anerkannt und erfolgreich ist. Die zwei Frauen und drei Männer haben cineastisch anmutende Soundtracks produziert, haben den riesigen Schmelztiegel ethnischer Musikstile der „neuen Welt“ angezapft und Titel von Bob Dylan, Johnny Cash oder Tom Waits gecovert. Carlos Nunez, IFF 2004 Die nichtsdestotrotz stets irisch klingen. Solas (auf Gälisch „Licht“) hat eine Brücke zwischen der traditionellen irischen Musik im amerikanischen Exil und dem Mutterland geschlagen.

Doch damit nicht genug. Mit Carlos Núñez [-> FW#26] geht der „New King of the Celts“ mit auf Tour. Den „Königstitel“ wurde dem galizischen Dudelsackspieler unlängst von der großen spanischen Tageszeitung „El Pais“ verliehen. Núñez steht musikalisch gesehen für die pankeltische Bewegung, der offenbar auch so viele deutsche Musikfans emotional zugetan sind, die sich in der Bretagne, in Schottland oder Wales auf Wurzelsuche begeben. Galizien ist eine keltische Region im Nordwesten der iberischen Halbinsel, und so verbindet Núñez keltisches Feeling mit spanischem Temperament. Der „new King“ hat bereits mit dem bretonischen Harfenisten und Barden Alan Stivell gespielt und mehrere CDs der legendären irischen „Chieftains“ produziert.

Und als sei es noch nicht aufsehenerregend genug – schließlich etwas ganz Besonderes: Mit Jim Hayes tritt beim Irish Folk Festival ein Musiker auf, wie er traditioneller nicht sein könnte – einer der letzten Vertreter einer fast schon verschwundenen Generation. 1933 auf einer Farm im County Tipperary geboren, war Jim bislang nie außerhalb von Irland und hat niemals ein Aufnahmestudio von innen gesehen. Sein Auftreten beim Festival zeigt, dass Irish Folk nicht nur eine Angelegenheit von jungen, professionellen und meisterhaft produzierten Künstlern ist. Auf der legendenumwobenen „Grünen Insel“ ist Folk für den Hausgebrauch spontan, kernig und ungeschliffen – eben Volksmusik.

Tourdaten: www.irishfolkfestival.de


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 09/2004

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