Ausgabe 23 9/2002
Martina
McBride, Vince Gill, Ricky Skaggs, Del McCoury, Jeff White, Alison Krauss, Earl
Scruggs, Bela Fleck, Lyle Lovett, Patty Griffin, John Hiatt, Buddy & Julie Miller
und Gillian Welch - so lauten die Namen der Gastmusiker auf der neuen CD eines
bekannten irischen Ensembles. Und welche Band ist das wohl, die solch prominente
Freunde in der amerikanischen Roots- und Countryszene hat? Richtig, es kann
sich dabei nur um die Chieftains handeln, die ungeschlagenen Weltmeister
der "Collaboration". Erstaunlich nur: Es war gerade mal am 4. März dieses Jahres,
daß die Herren mit The Wide World Over eine CD veröffentlicht haben, um das
40jährige Bestehen der Gruppe zu zelebrieren. Und da die sich inzwischen 500.000
mal verkauft hat, dachte man wohl, daß es keine schlechte Idee sei, nur sieben
Monate später, am 7. Oktober, bereits mit dem nächsten Werk das ungebrochene
Potential dieser Gruppe unter Beweis zu stellen. Die Aufnahmen zu Down the
Old Plank Road dokumentieren spielerisch und eindrucksvoll, wie stark die
amerikanische Bluegrass und Country Music in der irischen Musik verwurzelt sind.
Wer in der richtigen Branche tätig ist, um über reichlich Bonusmeilen verfügen
zu können, sollt mal unter "www.ryman.com" nachschauen -gemeinsam mit vielen
ihrer Gastmusiker stellen die Chieftains ihre neue CD demnächst bei einem Live-Konzert
im Ryman Auditorium in Nashville vor!
Nicht
nur die Chieftains, nein auch die Dubliners wurden 1962 gegründet und
feiern demgemäß in diesem Jahr Jubiläum: 40 Jahre "at the top"! 1972 textete
der große Randy Newman voller Ironie: "I've been around the world, had my
pick of any girl, you'd think I'd be happy, but I'm not; ev'rybody knows my
name, but it's just a crazy game, oh it's lonely at the top!" Sicherlich
entdecken auch die Dubliners sich ein wenig in solchen Zeilen wieder, hatte
doch auch diese über alle Maßen beliebte Gruppe ihre Höhen und Tiefen und mußte
diverse wirklich schlimme Schicksalsschläge verkraften. Die Besetzung änderte
sich immer wieder mal, über die Jahre hinweg gehörten insgesamt zehn verschiedene
Dubs der Gruppe an, von denen drei - Luke Kelly, Ciarán Bourke und Bobby Lynch
- inzwischen leider gestorben sind. Nichtsdestotrotz hat es diese Ballad Group
der ersten Stunde immer und immer wieder verstanden, ein großes internationales
Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern zu begeistern. Und so haben sich
diese Vollblutmusiker etwas erworben, was es in dieser intensiven Form nur ganz
selten gibt: Eine unglaublich treue Fangemeinde, die immer zu der Band gehalten
hat, in guten wie in schlechten Zeiten. Auf ihr Publikum - insbesondere auf
das deutsche - konnten die irischen Barden in allen Phasen bauen. Trotzdem läßt
sich letztendlich das Phänomen Dubliners kaum wirklich erklären - man sollte
es vielleicht nicht hinterfragen, sondern akzeptieren. Da treten fünf Musiker
auf die Bühne, jeder hat ein Instrument unter dem Arm, und dann wird ohne Schnickschnack
souverän losmusiziert. Und sei der Saal noch so groß und noch so unpersönlich,
nach ein, zwei Minuten schon ist er völlig verzaubert! Dafür, daß sie 40 Jahre
lang top sein durften, aber nie "lonely at the top" sein mußten, dafür bedanken
sich die Dubs bei ihren Fans und solchen, die es noch werden wollen (es ist
nie zu spät ...) mit einer vorbildlichen Celebration-CD. Hier wurde nicht lieblos
bereits vorhandenes Material zusammengetrieben, sondern von den 20 Stücken sind
insgesamt zwölf Neueinspielungen, mit den übrigen acht wird dafür Sorge getragen,
daß auch die frühen Jahre gut dokumentiert sind. Denn was wäre eine Dubliners-Anthologie
ohne die von Luke Kelly gesungenen Klassiker "Raglan Road" und "The Town I Loved
So Well"? Wie viele andere - teils namhafte! - Interpreten sich an diesen beiden
Songs bis heute versucht haben, läßt sich wohl kaum noch nachhalten, unbestritten
aber ist: Luke Kellys Interpretationen sind die definitiven! Das 16seitige Booklet
ist liebevoll gestaltet, jedem der zehn Musiker wird eine eigene Kurzbiographie
gewidmet und die Auswahl der Photos ist sehr geschmackvoll geraten. Herzlichen
Glückwunsch!
Drei
neue CDs der eher traditionellen Art kommen aus dem fleißigen Hause Claddagh.
Vor zwei Jahren veröffentlichte Brian Rooney sein erstes Album und überraschte
damit alle Fiddle-Fans. Weil er den größten Teil seines Lebens in London verbracht
hatte, war der Musiker aus Leitrim in seiner eigenen Heimat relativ unbekannt.
Durch das locker virtuose und kraftvolle Spiel auf seinem Plattendebüt beeindruckte
er seine Landsleute nachhaltig und etablierte sich im Handumdrehen in der obersten
Liga der Instrumentalisten Irlands. Sein zweites Album, Leitrim to London,
ist nicht minder meisterlich. Er bringt hier 15 faszinierende Dance Tunes zu
Gehör, unterstützt durch Brian McGrath (Piano), John Blake (Gitarre) und Gregory
Daly (Flöte). Der Flötist Harry Bradley stammt aus Belfast und ist in
eigenen Landen zwar mit Sicherheit kein unbeschriebenes Blatt, wurde aber so
richtig bekannt ebenfalls erst vor zwei Jahren durch sein Debütalbum. Seine
zweite Platte, As I Carelessly Did Stray, dürfte ihn nun noch berühmter
machen. Er hat einen sehr individuellen Stil entwickelt - elegant und zugleich
aber energiegeladen. Er nimmt seine Musik sehr ernst, spielt sie aber mit Freude
und Humor, was diese CD zu einem Hörerlebnis der ganz besonderen Art macht.
Touch Me If You Dare von Ronan Browne & Peter O'Loughlin ist die
langerwartete Folge-CD zu The South West Wind von 1988. Sie bietet gute
alte Music aus County Clare auf Uilleann Pipes, Fiddle und Flöte - also schlicht
und ergreifend zeitlos gute Musik! Die 23 (!) Stücke bringen es auf eine Gesamtspieldauer
von über 74 Minuten, von denen ich auch nicht nur eine Sekunde missen möchte.
Obwohl uns 2002 schon erfreulich viele exzellente Veröffentlichungen beschert
hat, wage ich jetzt schon zu behaupten, daß diese CD zu den herausragenden zählen
wird, wenn am Ende des Jahres Bilanz gezogen werden wird!
Liz Doherty ist den meisten sicherlich ein Begriff als ehemalige Fiddlerin der Bumblebees und als Gründungsmitglied von Nomos. Quare Imagination ist ihre dritte CD unter eigenem Namen, auf der die hochbegabte, vitale Fiddlerin viel Spielraum findet, um ihre enorm weitreichende Kenntnis an Fiddle-Stilen auszuloten und auszubreiten. So nimmt es nicht Wunder, wenn man erfährt, daß sie von 1994 bis 2001 an der Universität in Cork gelehrt hat. Ihr vielfältiges Repertoire bezieht sie aus Irland, Frankreich, Kanada und Cape Breton. Es versteht sich fast von selbst, daß solch eine Ausnahmemusikerin die Unterstützung prominenter Kollegen fast frei Haus erhält, wenn es darum geht, eine neue CD einzuspielen. Und so fanden sich denn - unter anderem - Manus Lunny, Tony McManus, John Joe Kelly und Gerry "Banjo" O'Connor nur allzu gerne ein, um Quare Imagination mit ihrem Spiel zu adeln. Apropos John Joe Kelly: Der Bodhran-Zauberer ist ja seit geraumer Zeit neben Brian Finnegan (Flöte), Sarah Allen (Flöte) und Ed Boyd (Gitarre) vierter im Bunde bei dem innovativen Folk-Ensemble Flook. Dessen neue CD trägt den lyrischen Namen Rubai und ist ein ebenso pulsierendes kleines Wunderwerk wie Flatfish von 1999.
Bereits
für August des vorangegangenen Jahres hatte Seán Keane ein neues Album
angekündigt. Mit dem programmatischen Titel Elemental wurde es inseriert und
avisiert als "a mix of traditional gems and folk classics with a few surprises
thrown in!" Dann bekam er wohl kalte Füße, denn es hatte ihn zuvor viel Einsatz
und viel Zeit gekostet, sich mittels eines moderneren Repertoires und mit mainstreamigeren
Arrangements ein breiteres Publikum zu erschließen. Mit einem "Back-to-the -Roots"-Projekt
hätte dessen Zuneigung leicht wieder verspielt werden können. Und so kommt nun
Monate später Elemental als eine Art Bonus-CD eines Doppel-Sets daher, das Seánsongs
betitelt wurde. Ich gebe zu, nur allzu leicht könnte ich der Versuchung erliegen,
die CD1 des Sets flott mal runterzupunkten, weil mir Seán Keane als Trad-Sänger
einfach mehr liegt. Das wäre aber nicht nur verflixt voreilig, sondern auch
unverantwortlich unfair, weil nämlich Songs wie Johnny Cleggs "The Crossing",
Ron Kavanas "Reconciliation" und Peter O'Hanlons "Song of the Camp" hier von
Seán Keane so herzergreifend vorgetragen werden, als seien sie niemals für jemand
anders als für ihn verfaßt worden. Dann ist es aber doch die ein wenig schamhaft
beigepackte CD #2 - die vor einem Jahr heimlich, still und leise zurückgezogene
also - bei der die Sonne vollends auf- und nicht mehr untergeht. "Skibbereen",
"Beautiful Dreamer", "Dear Little Isle" und "Banks of the Lee" - das ist der
Stoff, aus dem Seánsongs maßgeschneidert werden! Trotzdem läßt sich es ganz
gut damit leben, daß man gezwungenermaßen eine Doppel-CD erstehen muß, unabhängig
davon, "welchen Seán" man eigentlich hören möchte: Der Preis liegt gegenüber
einer Einzel-CD netterweise nur um rund ein Viertel höher. Ein Angebot, das
man wohl nicht ausschlagen sollte ...
Blackbirds
& Thrushes, In My Prime und jetzt Heart's Desire. Seit Niamh
Parsons für das Label Green Linnet aufnimmt, gelingt ihr ein großer Wurf
nach dem anderen. Ihre neue CD wurde von dem iro-amerikanischen Gitarristen
Dennis Cahill produziert (ja der, der immer mit Martin Hayes spielt) und ist
möglicherweise sogar die bis dato rundum beste Aufnahme der Dubliner Sängerin.
Song für Song ist jeweils eine kleine Sternstunde, so daß es schwerfällt, den
einen oder anderen hervorzuheben. In der Gesellschaft diverser Traditionals
scheint sich Mark Knopflers "Done with Bonaparte" extrem wohl zu fühlen - was
für ein großartiger Song, vorgetragen von einer großen Stimme! Ganz besondere
Erwähnung verdient unbedingt auch Graham Dunne, der nicht nur ein wunderbarer
Gitarrist, sondern auch ein wunderbarer Begleiter und Komponist ist, dessen
kleine Instrumental-Einlagen den Gänsehaut-Gesang kongenial umrahmen und erhöhen.
"Niamh of the Golden Voice!" Das Zitat stammt von Andy Irvine. Fettes Lob von
allerhöchster Stelle also ...
Erinnert sich noch jemand an David McWilliams? Wohl nicht so recht, denn von seinem Tod am 8. Januar dieses Jahres nahm niemand so recht Notiz. McWilliams wurde 56 Jahre alt. Der Mann aus Belfast war das, was man ein "one hit wonder" nennt. Sein "The Days of Pearly Spencer" war 1967 in ganz Europa (mit Ausnahme von England) ein Riesenhit, danach wurde es sogleich wieder still um den Singer-Songwriter. Unter dem Titel Days at Dawn erschien jetzt eine Doppel-CD, die komplett jene drei Longplayer erfaßt, die McWilliams Anfang der 70er für das phantastische Dawn-Label aufnahm: Lord Offaly (1972), The Beggar & the Priest (1973) und Livin's Just a State of Mind (1974), zuzüglich dreier Bonus Tracks. Daß dem Mann ziemliches Unrecht geschah, indem ihm so gar keine Aufmerksamkeit mehr zuteil wurde, belegen (leider erst postum) superbe Songs wie "Go On Back to Momma", "Lord Offaly", "Lady Margaret", "Leave the Bottles on the Floor", "Love Like a Lady", "Sad Dark Eyes" und "You've Only Been a Stranger".
Zwei Wiederveröffentlichungen englischer Künstler, die auch für Freunde des Irish Folk interessant sein dürften, sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Als eines der großen Meisterwerke der Folkrock-Pioniere Fairport Convention gilt unbestritten Liege & Lief aus dem Jahre 1969. Mit Traditionals wie "Matty Groves" und "Reynardine" enthält das Album zwei der grandiosesten Einspielungen der Gruppe überhaupt. Und Sandy Denny war damals ohnehin in absoluter Hochform. Die Remaster-Version läßt die betagten Aufnahmen jetzt zwar um einiges besser erklingen als auf der vor Jahren veröffentlichten CD, von einem audiophilen Leckerbissen kann trotzdem keine Rede sein. Eine der berühmtesten "Wohnzimmeraufnahmen" ist und bleibt Liege & Lief aber allemal. Als Bonus Tracks werden das zuvor unveröffentlichte Traditional "Sir Patrick Spens" und "Quiet Joys of Brotherhood" spendiert. Von diesem Richard Fariña-Song erschien ein Take (der vierte) bereits auf dem längst wieder gestrichenen Box-Set Who Knows Where the Time Goes von Sandy Denny. Hier hört man den ersten Take, der es - knapp acht Minuten lang - dann auch nicht auf das Album schaffte. Mit Another Monday wird eine weitere Lücke im Back Catalogue von John Renbourn geschlossen. Besonders interessant an diesem mit Jazzeinflüssen angehauchten Folk-Blues-Album ist sicher die Tatsache, daß die Pentangle-Sängerin Jacqui McShee hier ihr Aufnahmedebüt gibt - bei drei Nummern begleitet sie Renbourn als Vokalistin. Aufgewertet wird die neue CD-Version nicht nur durch den Pappschuber, der sie ummantelt, sondern vor allem durch Colin Harpers ausführliche historische Liner Notes.
Zwei keltische Veröffentlichungen deutscher Provenienz beschert uns das rührige Label Jigit! aus Köln (Markus Brachtendorf, Christoph Stoll & Co.). Bei der achtköpfigen (richtig gezählt?) All-Star-Formation Friel's Kitchen handelt es sich wohl um so etwas wie eine Undercover-Reinkarnation der uns irgendwie abhanden gekommenen Top-Band Limerick Junction. A Place of Clear Water läßt jedenfalls angenehme Déja-vu-Gefühle aufglimmen. Plötzlich ist alles wieder da - die präzisen Klänge, diese druckvolle Kreativität, die dichten Arrangements! Und wer geglaubt hatte, es könne nur eine deutsche Band mit genialen Uilleann Pipes geben, der darf sich eines besseren belehren lassen. Nicht nur Limerick Junction, nein auch Friel's Kitchen zeichnet sich durch dieses Merkmal aus. Undenkbar? Ganz einfach - in beiden Bands ist es ein und derselbe Mann, der dieses höchst komplizierte Instrument zum Klingen bringt. Sein Name ist Schiefner, Johannes Schiefner. Er ist auch auf Celtic Desires zu hören, einer Kollektion des Komponisten Hans-André Stamm, die für 70 Minuten den Hörer in eine von Harmonie geprägte Klangwelt entführt. Liebhaber des US-Labels Windham Hill werden an dieser ruhigen, feinfühligen CD ihre helle Freude haben. Ideal wäre sicher ein offenes Kaminfeuer, aber Kerzenlicht tut es wohl auch, um daheim eine adäquate Atmosphäre für die musikalische Wolkenreise zu inszenieren. Abheben ist angesagt - ohne Anschnallpflicht!
Ähnliche Intentionen inspirierten sicher auch die ehemalige Riverdance-Fiddlerin Máire Breatnach zu ihrer wunderschönen CD Dreams & Visions in Irish Song. Alle Lieder sind in irischer Sprache, was - obwohl die meisten von uns sie im wortwörtlichen Sinne leider nicht verstehen können - dem intendierten traumhaften Charakter entgegenkommt. Im übertragenen Sinne verstehen kann diese Lieder aber doch ein jeder, der offen dafür ist, sich von Máire Breatnachs Anmerkungen ein wenig einpendeln zu lassen auf die Aussagekraft ihrer Musik. Einige der Stücke sind Eigenkompositionen aus ihrer Feder, die jedoch unüberhörbar in der Tradition verwurzelt sind. Sollte jemand im Verlauf der vergangenen drei Jahre The Calm After the Storm des Saxophonisten Keith Donald immer und immer wieder in den Player bugsiert haben und ebenso so lange vergeblich auf eine weitere CD in der gleichen Stimmungslage gewartet haben ... hier ist sie!
Sweet dreams wünscht allen
Axel Schuldes.
Photo Credit: Niamh Parson photo by The Mollis
Originalabdruck: 'irland journal' (Christian Ludwig Verlag, Dorfstr. 70, 47447 Moers).
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Zum Inhalt der FolkWorld Nr. 23
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