FolkWorld-Artikel von Walkin' T:-)M:

Troubadours Lied

Jan-Màri Carlòtti auf dem Folkfestival Tilburg


www.folkfestival.nl Sex sells! Ist das einen Versuch wert, damit ein größeres Publikum für die Folkmusik anzulocken? Folkies don't wear knickers, meinte Rossa Ó Snodaigh (Kila) und manch Kerl bekam seine Augen gar nicht mehr vom Poster des Tilburger Erotikfestivals los. Frankreich und Akkordeon waren die thematischen Vorgaben und um 1900 hieß es in der Auvergne von der "Handorgel", diese sich einschmeichelnde Prostituierte sei unwürdig, die Beine unserer charmanten Mädchen tanzen zu lassen. Dann treten auch noch Bands mit Namen wie "Négligé" auf und es werden hübsche, junge Damen wie Ialma, Deux Accords Diront und Susana Seivane feilgeboten. Laïs (altfrz. Klang, Melodie, Lied) sind noch ein wenig verführerischer und ihr Gesang öffnete die Ohren des schläfrigen Publikums und brachte es dann bis zur Ekstase. Die Flöte, geradezu archetypisches Phallussymbol, ist nicht nur das Instrument Krishnas, des "Göttlichen Liebhabers", auch Aristoteles hat schon erkannt: The flute is not an instrument which has a good moral effect; it is too exciting. Darum ist Flook! Wasser auf die Mühlen all derjenigen, denen ein Seitensprung spannender vorkommt als das plätschernde normale Leben und blowing and sucking with impassionated wit ...

Genug davon - im Interesse unserer minderjährigen Leserschaft - und lasset uns zärtlicheren Banden zuwenden! Sänger und Gitarrist Jan-Màri Carlòtti erinnert daran, dass die Kunst der "Minne" ihren Ursprung im südfranzösischen Languedoc hat. Im 12. Jhd. gehört "Okzitanien" noch nicht zum Königreich Frankreich. Sprache, Kultur und Politik orientieren sich zum Mittelmeer hin. Eine flandrische Chronik urteilt:

Als der gute König Karl der Große [selbiger ließ volkssprachliche Lieder sammeln, welche sein Sohn Ludwig wieder vernichtete] seine Länder verteilte, gab er die ganze Provence den üppigen Leckern [lecheor: Tellerlecker, d.i. Spielleute], daher die Provenzalen als ihre Nachkommen noch immer bessere Lieder und Weisen erfinden denn jedes andere Volk.
Vielleicht ist es gerade die politische Anarchie und Unabhängigkeit von königlichen und päpstlichen Ansprüchen, die den nötigen künstlerischen Freiraum schafft. Die Bezeichnung "trobador" im Sinne von "Kunstdichter" leitet sich wahrscheinlich vom okzitanischen "trobar" (erfinden) ab. Jan-Mari Carlotti & Michel Marre, Tilburg 2002 Der erste uns greifbare Sänger ist Guilhelm IX. (1071-1127), Graf von Poitiers und Herzog von Aquitanien.
Der Graf von Poitiers war einer der höfisch gebildetsten Menschen überhaupt und einer der größten Frauenbetrüger, ein wackerer Waffenheld und ungezügelt im Minnedienst. Er verstand ausgezeichnet, zu dichten und seine Kompositionen vorzutragen; lange Zeit wanderte er durch die ganze Welt, um den Frauen den Kopf zu verdrehen.
Von Guilhelm sind elf Kompositionen erhalten. Sechs davon sind recht freizügig, eine ist ein reumütiger Bußvers. Aber vier weitere spiegeln in vorher nicht gekannter Weise eine besondere Form der Frauenverehrung wieder: die Anbetung und platonische Liebe zu einer unerreichbaren höfischen Herrin.

Die Trobadorlyrik verwendet die okzitanische Volkssprache anstelle des Lateinischen und die einstimmigen Lieder mit improvisierter Instrumentalbegleitung (z.B. Laute) sind die ersten volkssprachlichen Kunstlieder in Europa. Im Gegensatz sowohl zum martialischen "chanson de geste" wie dem "Rolandslied", als auch zu christlicher Erbauungsliteratur wenden sich die Trobadors an Frauen, die auch die Richtung der Dichtkunst mitbestimmen. Die Zentren der Trobadordichtung liegen in den Grafschaften Poitou, Toulouse, im Herzogtum Aquitanien und in der heutigen Provence. Überliefert sind etwa 2.500 Texte von rund 450 namentlich bekannten Autoren. Etwa zwanzig sind weibliche "trobairitz" (siehe auch www.angelica-rieger.de/trobinhalt.htm). ("Ab gréu cossire" beispielsweise wendet sich gegen eine restriktive Kleiderordnung für Frauen, obwohl Carlòtti den Text Bernart Sicard de Marjevols zuschreibt). Insgesamt sind zu etwa einem Zehntel der Texte Melodien erhalten.

Jan-Màri Carlòtti singt Texte, zum Teil mit Originalmelodien, zum Teil neu vertont, von so frühen Autoren wie Jaufré Rudel (+1170):

Jaufré Rudel von Blaia war ein sehr edler Herr, Fürst von Blaia. Er verliebte sich in die Gräfin von Tripolis, ohne sie je gesehen zu haben, nur auf das viele Schöne hin, das er von Pilgern, die aus Antiochia kamen, über sie erzählen hörte; und er dichtete auf sie viele Lieder mit schönen Weisen und schlichten Worten. Aus Verlangen, sie zu sehen, nahm er das Kreuz und stach in See; auf dem Schiffe aber befiel ihn eine Krankheit, und man brachte ihn wie tot nach Tripolis in eine Herberge. Das wurde der Gräfin zu wissen getan, und sie kam zu ihm an sein Bett und nahm ihn in ihre Arme. Als er aber erkannte, dass es die Gräfin war, kehrten ihm Gehör und Empfindung wieder; und er lobte Gott und dankte ihm, dass er ihm das Leben erhalten habe, bis er sie erblickt hätte. So starb er in ihren Armen, und sie ließ ihn im Tempelhause mit großen Ehren bestatten; und noch am selben Tage nahm sie aus Schmerz über seinen Tod den Schleier.
Bernart de Ventadorn (+1195), dessen Eltern Bedienstete des Vizegrafen von (Moustier-)Ventadorn sind - Graf Ebles "Cantator" de Ventadorn ist selbst Dichter -, verkörpert die erste Blüte der Trobadorlyrik. Bernart hält sich am normannischen Hofe Aliénor d'Aquitaines auf. Jan-Mari Carlotti & Michel Marre, Tilburg 2002 Die Enkelin Guilhelms IX. ist sowohl mit Ludwig VII. von Frankreich und nach erfolgter Scheidung mit Heinrich II. von England verheiratet und vermittelt die Trobadordichtung an die nordfranzösischen "trouvères". Im Britischen Museum in London befindet sich eine Handschrift mit einer Widmung Heinrichs, die zwölf Kompositionen der Marie de France enthält, derältesten bekannten Dichterin französischer Zunge. Aliénors Tochter Mathilde heiratet Heinrich den Löwen und schlägt damit die Brücke zum deutschen "Minnesang".

Die vornehmen Trobadors halten "jongleurs" (jocus: Spiel) in ihrem Sold, die die Kompositionen ihrer Herren der Geliebten vorsingen und unter die Leute zu bringen haben. Davon erhält der Spielmann des Trobadors Arnaut de Maruelh (+1200) den Namen "Pistoleta" (Brieflein).

Der literarische Höhepunkt wird um 1200 mit Künstlern wie Peire Vidal (+1205) erreicht. Der Sohn eines Kürschners aus Toulouse, für den ein gewisses kastillisches Fräulein, mehr werth sei als hundert mit Gold beladene Kamele, ist in verschiedensten Stilformen zuhause, volksliedhaften "gaia cansó" ebenso wie komplexen "trobar ric". In seinen moralischen "sirventès" greift Vidal Philipp II. August von Frankreich an (der Kunstbanause verfügt 1187, dass man seine abgelegten Kleider, die damals übliche Bezahlung für Künstler, nicht mehr unter die Spielleute verteile solle, und verbannt schließlich die "Gesellen des Teufels" ganz von seinem Hof), während Richard I. Löwenherz seine volle Sympathie genießt. (Der Sänger Blondel de Nesle entdeckt Richards Gefängnis auf der pfälzischen Burg Trifels 1192-94 durch ein Lied, das beide einst gemeinschaftlich gedichtet haben; in einer weiteren Komposition schildert Richard selbst seine Gefühle während der Kerkerhaft.) In prahlerischen "gaps" sieht Vidal sich als unbezwinglichen Ritter und Liebhaber, macht sich aber auch über die Übertreibungen seiner Dichterkollegen lustig.

Die letzte Dichtergeneration wird vertreten durch den Satiriker Peire Cardenal (+1278, siehe auch cardenal.free.fr). Der aus Puy Notre Dame in Veley stammende Sohn eines Ritters ist als Kind für eine kirchliche Laufbahn bestimmt worden. Ihn locken jedoch die "Reize der Welt", so dass er Dichter wird und in Begleitung eines Spielmanns von Hof zu Hof zieht. Cardenal kritisiert Klerus und Adel und schreibt bissige und moralisierende Satiren.

Wenn ein Bettler ein Zaumzeug stiehlt, wird er von einem Pferdedieb gehängt. Es gibt kein gewisseres Recht in der Welt als der reiche Dieb, der den Armen hängen lässt.
Der Niedergang der okzitanischen Trobadorlyrik ist nicht zuletzt politischen Entwicklungen geschuldet: Der römisch-katholische Klerus, korrupt und parasitär, hat einen schlechten Ruf, während die Bevölkerung mittels Abgaben und Bußen geknechtet wird. O-Ton: Es wäre besser, wenn wir in die Gewalt von Bären und Wölfen fielen, als in der Gewalt dieser Teufel zu sein. Cantigas de Santa Maria (1221-84), www.pbm.com/~lindahl/cantigas/ Der beste Nährboden für eine häretische Lehre, die "Katharer" (griech.: rein) oder "Albigenser" (nach der Stadt Albi). Die Katharer lehren u.a. Weltentsagung - eine Theorie besagt denn auch fälschlicherweise einen Zusammenhang zwischen der Sexualitätsfeindlichkeit des Katharertums und der spirituellen Liebesauffassung der Trobadors - und apostolische Armut.

Die Bischöfe, die weissleuchtende Kleider tragen und an den Fingern edelsteinbesetzte Ringe führen, sind ob dieser Entwicklung natürlich zutiefst beunruhigt. Gleichzeitig blickt der französiche Adel beutegierig auf Städte und Land im Süden. 1208 ruft Papst Innozenz III. zu einem Kreuzzug gegen die "Ketzer" auf. Der Ausrottungsfeldzug wird legitimiert: Tötet sie alle! Gott wird die Seinen erkennen. Der einstige Trobador und Erzbischof von Toulouse, Folquet de Marselha (+1231; ein Vers ohne Musik ist wie eine Mühle ohne Wasser), ist ein eifriger Katharergegner und wird in Dantes "Göttlicher Komödie" verewigt. Als 1255 die letzte Festung kapituliert, ist die gesamte Region verwüstet, ein Großteil der Bevölkerung umgebracht und die Inquisition ins Leben gerufen. (Nur nebenbei sei bemerkt, dass dies keine französische Spezialität ist und gleichzeitig auch Kaiser Friedrich II. die Scheiterhaufen brennen lässt.)

Die okzitanische Sprache, die mit der Trobadordichtung die Worte "amour" und "chanson" ins Französische einbringt, wird in den nächsten Jahrhunderten vom aufstrebenden Nationalstaat stark unter Druck gesetzt werden. Die völlige Vernichtung von Sprache und Kultur gelingt allerdings nicht, dafür ist Jan-Màri Carlòtti nur ein Beispiel (siehe auch FW#10). Unterstützt wird Carlòtti bei seinen Interpretationen der mittelalterlichen Chansons vom Jazztrompeter Michel Marre. Kein Wunder, dass angesichts solch "cooler" Begleitung, im Bewusstsein vieler Menschen der Folkmusik das Attribut unerotisch zugeordnet wird (R. Schuberth, siehe FW#22). Falsch! Folk ist sexy! Aber das habe ich ja schon immer gesagt.

CD: Jan-Màri Carlòtti & Michel Marre "Trobar I - Chansons des Troubadours" (Silex Y22 5050, 1995), inkl. "Lanquant li jornl", "Tant ai mon cor", "Lo Temps vai e veni e vire", "Amb L'alen tir vas me l'aire", "De Chantar", "Ar argué eu", "Ar mi puesc", "Ab gréu cossire", "Vent d'Autan".

Zum Weiterlesen: Daniela Weber "Die Trobadors", Chris Whent "Troubadours, Trouvères and Minnesingers", Stefan Engels "Trobador - Trouvère - Minnesang", Grove Concise Dictionary of Music "Troubadours and Trouvères", Lize Hale "Trobairitz".

Ausgewählte Lyrik: www.cam.org/%7Emalcova/troubadours/, www.areacom.it/arte_cultura/duke/troub.htm.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 6/2002

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