FolkWorld Live Review 06/2002 von Karsten Rube

Von schrulligen Typen und wahrer Kunst
Mariza singt Fado im Tränenpalast


Vor dem Tränenpalast schreien die Punks. Innen schreit sich Mariza warm. Mariza, eine neue Ikone des Fadogesangs, jener wehmütigen, in Noten gebündelten suizidalen Grundstimmung der Portugiesen, besucht auf ihrer Deutschlandtournee auch den Berliner Tränenpalast.

from  http://www.ritmoartists.com/Mariza/gallery_mz.htmDas ist ein ganz treffsicher ausgewählter Veranstaltungsort, haben sich doch an diesem ehemaligen Grenzübergangsbahnhof einst die sehnsuchtsvollen Blicke gegen Westen und die Hoffnungslosigkeit, die mit dem Gefühl einher geht, an seine Grenzen gestoßen zu sein, genauso gebündelt, wie der leidgetränkte Blick der der Tristesa und der Saudade verfallenen Menschen am Tejo. Das Ambiente ist dem Abend entsprechend hergerichtet. Kleine Tischchen, plüschige Sessel, ein schwerer roter Samt und ein oppulenter Kronleuchter schmücken die an sich schmucklose alte Bahnhofshalle.

Drei Musiker, mit portugiesischer Gitarre, klassischer Gitarre und Kontrabass betreten die Bühne und beginnen zu spielen. Der Kontrabassist stößt als erster auf ein Problem. Eine seiner Kotrabasssaiten liegt nicht richtig. Die Saite singt, als würde sie von lockerem Holz gestört. Der Bassist schaut betroffen, entschuldigend und sucht den Fehler, den er nicht findet. Resigniert spielt er einfach drauflos und ignoriert das regelmäßig auftauchende “Plängggg” so gut er kann. Manchmal muss er sich zusammenreißen, das Gerät nicht zu treten.

Dann tritt Mariza auf. Hochgewachsen, kurzrasierte Blondhaare, kantiges Kinn. Ihr bodenlanger schwarzer Glockenrock mit dem weißen Punkten schwingt hin und her, wie eine Gardine am offenen Fenster. Darüber trägt sie ein steifes Mieder aus dem ihr knochiger Oberkörper herausragt, wie aus einer Vase. Während des Fadogesangs, den sie gefühlvoll und brillant zelebriert beugt sie ihren schlaksigen Oberkörper vor. Mit Rundrücken und nach vorn gerecktem Gesicht und zum Wehklang der Musik, erinnert sie an die gramgebeugten Witwen in südlichen Landen. Ich mag nicht hinschauen, aber hinhören muss ich. Während sich Mariza an körperlichen Vorzügen mit Misia, der anderen jungen Göttin des Fado nicht messen kann, gelingt es ihr doch auf faszinierende Weise allen emotionalen Ausdruck auf ihre Stimmbänder zu legen und mit ihrem Gesang in die Herzen der Zuhörer zu transportieren. Hunderprozent Gefühl in Klang gebündelt, mal leise, mal schrill, manchmal sogar mit einer für den Fado ungewöhnlichen Fröhlichkeit und häufig mit alle seinem Schwermut. Irgendwann während des Konzerts wird ihr die Bühne zu distanziert. Sie schickt die Musiker ins Publikum und schreitet hinterdrein. Unplugged, nur mit der Akustik der Instrumente und ihrer Stimme verwandelt sie dan Tränenpalast in eine Kneipe im Lissaboner Stadtteil Bairo Alto. Das Publikum dankt es ihr frenetisch.

Mariza besitzt eine große Stimme und vielleicht eine große Zukunft. Wünschenswert wäre es dieser auf den ersten Blick seltsamen Person. Aber wahre Kunst steckt oft in den schrulligsten Typen.

Photo Credit: Photo from http://www.ritmoartists.com/Mariza/gallery_mz.htm


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 6/2002

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