FolkWorld Live Review 9/2001:

Von Schlechtwettermännchen, Wasserbetten und Barfußtänzern

Das Tanz&FolkFest Rudolstadt 2001


Von Karsten Rube

TFF Rudolstadt, photo by The MollisWenn Michael Kleff, der "Folker!"-Chef das Tanz- und Folk-Fest Rudolstadt mit einer Lobpreisung des herrlichen Wetters beginnt, dann wird es höchste Zeit, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wo man Regenjacke und -schirm herbekommt.

Viel ist nicht mehr übrig von der Erinnerung an den knurrigen, aber kompetenten Moderator des Weltmusikjournals "Al Globe", in dem er einst mit einem Stab findiger RedakteurInnen und lobenswert glaubhaft wirkender Mitarbeiter am Mikrofon, beim verblichenen Kultursender Radio Brandenburg im allerbesten Sinne des Wortes "Musikerziehung" betrieb. Als Moderator des Eröffnungskonzertes beim TFF Rudolstadt, versucht er sich in der Rolle des Spaßvogels. Das passt so überhaupt nicht zu ihm. Das Volk der Rudolstadtbesucher ist ein fröhliches und tolerantes. Redaktionsstubenwitzeleien von der Bühne, bei denen sich untergebene Angestellte vorsichtshalber kringeln, belächeln sie milde. Den Musikern, die die anspruchsvolle Aufgabe haben, dem erwartungsvollen Publikum, die ersten Appetithäppchen vorzuwerfen, zollt eben dieses Publikum respektablen und mutmachenden Applaus.

Doch das TFF wäre nicht das bedeutendste Folkfestival in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa, wenn ein mäßiger Start symbolisch wäre. Das Fest findet genau zwischen Anmoderation und Abgesang statt und zeigt sich überall in der Stadt, als ein einzigartiges Konglomerat kultureller Gegensätze, die ineinander verschwimmen. Die Welt als Eintopf, in der man die Zutaten herausschmeckt. Schwerpunktthemen liefern die nötigen Ingredienzien. Da gab es bereits ungarischen Paprika, indische Gewürze, portugiesische Kuddeln, skandinavische Rentierboullion, britisches Porridge. In diesem Jahr sind es bayrische Weisswürste und Cocktailrezepte von den kleinen Antillen. Es ist also für jeden etwas drin, im großen Topf und das weiß das Publikum zu schätzen.

Rudolstadt, Photo by The MollisFriedlich geht es zu, zwischen Heidecksburg, Markt und Heinepark, zwischen Verkaufsständen und Straßenkapellen, Kinderfest und Tanzworkshop. Rettungskräfte beschäftigen sich mit Sonnenstichen und gelegentlich mit jemand, der das gute Köstritzer Schwarzbier unterschätzt hat. Friedlich geht es zu, zwischen Publikum und Künstlern. Wem ein Konzert nicht gefällt, der buht nicht, sondern geht zu einem anderen Schauplatz, es sind ja genügend vorhanden. Nicht weniger als 23 Haupt- und Nebenschauplätze bietet das TFF 2001 auf. Viele davon werden zeitiggleich bespielt. Und auf den Zeltplätzen entstehen spontane kleine Musikgruppen, die im Morgengrauen, mehr oder weniger harmonisch, die Stunden zwischen letztem und ersten Konzert überbrücken.

Viele Künstler lassen sich nicht in ihren Unterkünften isolieren. Sie jubeln im Publikum ihren Kollegen auf der Bühne zu, stehen beim Mutzfleisch an oder testen das Geschick der Zauberer in der Instrumentenbaugasse. Hier wird so manches neue Instrument erstanden und für einige beginnt hier wohl auch der Wechsel vom Konsument zum Akteur. Trotz der Nähe zum Künstler, bleibt der Autogrammjäger eher die peinliche Ausnahme. Auf dem steilen Weg zur Heidecksburg hört man ihn am deutlichsten, den Klangteppich, der über den Dächern der alten Stadt schwebt, wie das akustische Pendant zu einem verwirrenden Duft aus einem exotischen Restaurant.

Ja, Rudolstadt im Sommer riecht gut - sieht man mal vom den mefitischen Dünsten ab, die aus den Dixie-Klos wabern. Es duftet nach asiatischen Gerichten, Grillfleisch, Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Es weht der Geruch von altem Handwerk durch die Gassen, hier das beißende Kribbeln in der Nase, verursacht von heißem Eisen, auf das der Schmied einschlägt, dort ein leichter Schwindel vom Dunst gegerbten Leders, am Stand des Schuh- und Taschenmachers. Die trockenen Splitter, die wegspringen, wenn der Steinmetz den Meißel ansetzt, riechen nach Feuerstein. Und an der Bude mit dem Käse aus Bioproduktion, riecht es, als hätte ein Riese seine Socken ausgezogen. Die übelsten Stinker sind dabei die besten. Am Saaleufer, dort wo der ewig feuchte Tunnel unter den Gleisen entlangführt und die Wasserratte fett im Unkraut lümmelt, riecht es etwas muffig. Und auch die Menschen riechen. Viele Schwitzen, doch verbreiten sie nicht den beißenden Gestank aggressiven Angstschweißes, der überfüllte Rockkonzerte oder bayrische Bierzelte überlagert. Es sind eher die kaum störenden Abtanzausdünstungen, abgekämpfter, glücklicher Menschen, die eine müdegetanzte, und dennoch tiefe Zufriedenheit verströmen. Wer sich selbst zu sehr stinkt, hüpft in die große Rudolstädter Gemeinschaftsbadewanne im Freibad. Badeanzüge sind hier in der Minderzahl. Man erkennt Einheimische am Benutzen von Umzugskabinen und für die Ortsjugend ist das TFF das alljährliche Fest des Hinguckens.

Deoch an Doiras, Photo by The MollisMan macht sich einen Plan anhand des Programmheftes, kreuzt sich an, was alles gesehen werden muss und verwirft das Unternehmen wieder. Da sind die ärgerlich langen Soundchecks, die den Zeitplan hinwegwischen. Hier sollte die Programmplanung vom straffen Durchhecheln eines Zeitplans abkommen oder den geplanten Anfangszeiten offiziell ein ca. Voranstellen. Die Klangqualität ist bei den meisten Konzerten allerdings tatsächlich lobenswert. Der professionellen Tontechnik gebührt ein dicker Schmatz auf den Körperteil ihrer Wahl. Natürlich geht es auch unplugged, das zeichnet den guten Musiker aus. Patrick Bouffard kurbelte 1998 eine Dreiviertelstunde an seiner Drehleiher herum, um den perfekten Sound durch die Boxen zu jagen und dann fiel der Strom aus. Das unfreiwillige Unpluggedkonzert, das er dem Publikum daraufhin gönnte, war ein beeindruckendes musikalisches Erlebnis.

Auch das Verkaufszelt des Bochumer Plattenladens "Old Songs-New Songs" ist jedes Jahr ein ernstzunehmendes Hindernis auf den Weg zu einem Konzert. Wenn es überhaupt einen Beweis für die Existenz eines Plattenhändlers mit Geschmack und dem Pioniergeist eines Entdeckers gibt, dann ist es der rührige Old Songs-New Songs-Inhaber Klaus Sahm. Sein Zelt steht jedes Jahr im Heinepark, direkt am Weg.

Doch dann schafft man es doch irgendwie, wenigstens einen Teil der vorgemerkten Konzerte zu besuchen.An manchen Orten haben Langzeitbesucher ganz unwiederbringlich schöne Momente erlebt. Logisch, das sie diese immer wieder anlaufen. Die Burgterrasse auf der Heidecksburg gehört hierbei zu den angenehmsten Orten. Auch der Burggarten gehörte dazu, doch an dem wird im Moment gebaut. Hier sang Cesaria Evora an einem kühlen Abend des Jahres 1996, während der Mond von Nebelschwaden eingehüllt wurde, ihre traurigen Mornas. Barfuß natürlich und eingedeckt mit Cognac, den ein Mitarbeiter noch schnell aus einem Getränkeladen holen musste. "Cognac für Frau Evora" rief er aufgeregt über den Tresen und bekam, wonach er verlangte.

Lais in Rudolstadt, Photo by The MollisEs sind die Musiker, die einen Ort verzaubern. Auf welcher Bühne ihnen das gelingt, liegt an ihnen, nicht am Ort. Das TFF-Publikum ist gewillt sich verzaubern zu lassen. Es ist willig, aber nicht blöd. Den Alternativ-Rockern Calexico, aus dem kalifornisch-mexikanischen Grenzgebiet, die auf der großen Bühne im Heinepark spielt, gelingt das noch. Mit ihrer eigenwilligen Mischung aus amerikanischer Popmusik, mexikanischen Mariachibläsern und Westernelegien, versetzen sie den Hörer in die spröde Romantik eines staubigen Grenzkaffs über dessen Strassen der Wind entwurzelte Wüstenbüsche weht.

Anschließend versuchen die gestandenen Folkmusiker der Gebrüder Uhlmann mit ihren Tyskana Allstars, das selbe Wunder zu vollbringen. Es ist ein etwas überambitioniertes Projekt, das schwerfällig und überfrachtet wirkt. Unwillkürlich drängen sich die Worte des österreichischen Kaisers auf, der ein Mozartwerk mit den Worten rügte: "Zu viele Noten"! Im übrigen sollte jemand den Gebrüdern mitteilen, das man das Publikum nicht zwischen jedem Titel anschreit: "Seit ihr gut drauf???" Irgendwann antwortet es mit "Nein!" und meint es auch so.

Laut und gut sind Lais. Eine Gruppe von Musikern, die sich um drei stimmgewaltige Mädels aus Flandern scharen. Am Samstag, vor der Großen Bühne der Heidecksburg findet sich kaum ein Platz. Die Sitzplätze sind seit Stunden blockiert, Stehplätze sind rar und auch die steinernen Geländer sind besetzt. Das Wetter ist warm, aufziehende Wolken verhindern Sonnenstiche und ein leichter Wind sorgt für Erfrischung. Das Konzert gehört zu den besten dieses TFF-Jahrganges, weil alles, von der Musik bis zum Umfeld, stimmt.

Das Publikum ist wetterfest. Wo anderenorts Konzerte abgebrochen werden, zieht es die Regenmäntel aus den Rucksäcken, spannt die Schirme auf und sollte der Boden matschig werden, so werden die Schuhe ausgezogen. Auch eine Unwetterwarnung zieht nicht. Der Sturm, der in Strassbourg Tote forderte, traut sich nicht nach Rudolstadt. Nur Regen, davon bekommt man wieder genug ab. Nachts um zwei, springen Unentwegte vom 3-Meter-Brett des Schwimmbads ins Becken. Da drin ist es auch nicht feuchter. Morgens steht das erwachende Volk bis zu den Waden im Schlamm vor ihren Zelten und telefoniert oder blickt aus dem Schlafsack, die Augen auf der Höhe des Wasserspiegels, der sich vor ihrem Zelteingang kräuselt, wie ein Stausee. Moderne Zelte halten dicht und das Gefühl auf einem Wasserbett zu schlafen, ist gerade für Camper, mit ihren ewigen Rückenproblemen, ein angenehmes.

Zeichnung von Annegret HänselStraßenmusiker haben es da schwieriger. Instrumente sind teuer und sollten nicht nass werden. Auf der Freiligrathstraße spielt am Samstagabend das kanadische Quartett Sabotabby Keltisches und Hillybilly, kurz Celtibilly. Nach dem ersten Titel wollen sie abbrechen, weil es zu regen beginnt. Einer der Musiker schaut fragend auf einen Schirm, der im Publikum aufragt. Die vier Musiker können die Instrumente nicht so schnell wegpacken, wie sie von sechs baumlangen Kerlen umringt werden, die Schirme und eine Regenplane über sie halten. Das Konzert geht weiter und ist ein schönes, kleines und sehr publikumnahes, was schon daran liegt, das ein Teil des Publikums auf der Bühne steht.

Es gäbe noch viele Konzerte zu beschreiben, doch jeder hat seine individuellen Vorlieben. Ob sie von Maria del Mar Bonet begeistert sind, die sie wegen des heftigen Regens, der mittlerweile aufgekommen ist, in Maria Bonaqua umtaufen oder den kompletten Regionalschwerpunkt Bayern inhalieren, inklusive Alphornblasen und Jodelworkshop, ob sie sich im feinen Spielsand vor der Cocktailbar im Heinepark karibische Cocktail-Kopfschmerzen holen oder einen Teil des Nachmittags dem Kinderfest opfern müssen. Ob Chill-Out-Center in den Saalgärten oder Tanzzelt mit Gruppendynamik, man kann davon ausgehen, dass die wunderbare Welt der Vielfalt keinen unberührt oder gelangweilt zurück lässt.

Rudolstadt am ersten Juli-Wochenende, das ist eine Tankstelle für Lebenskraft und Sonnenschein im Kopf. Selbst, wenn es vielleicht nicht das aufregendste TFF-Jahr war, dieses Tanz- und Folk-Fest 2001. Irgendetwas nimmt jeder mit. Ich habe mir einen riesigen schwarzen Regenschirm mitgenommen und wenn im nächsten Jahr das Schlechtwettermännchen direkt aus dem Wetterhäuschen auf die Bühne am Marktplatz steigt, um vom herrlichen Wetter zu faseln, dann stehe ich direkt vor der Bühne und spanne den Schirm auf.

Einen weiteren Bericht vom TFF Rudolstadt 2001 hat Tom Keller geschrieben: Rudolstadt - Heiter bis wolkig

Weitere Infos auf der TFF Rudolstadt Homepage.

Photo Credit: Alle Rudolstadt Fotos von den Mollis. Zeichnung von Annegret Hänsel.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 8/2001

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