Ausgabe 15 08/2000

Neue Scheiben aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik, zusammengestellt von Axel Schuldes

Charlie Piggot and Gerry Harrington; photo by Sean Laffey Manche mögen sich noch an die beiden wunderschönen Akkordeon/Fiddle-Einspielungen Scéal Eile ('93) und The Smoky Chimney ('96) von Eoghan O'Sullivan und Gerry Harrington erinnern. Wer diese Aufnahmen in der Tradition der großen Duos Kevin Burke & Jackie Daly bzw. Gerry O'Connor & Mairtin O'Connor zu seinen Favoriten zählt, wird sicher auch The New Road von Charlie Piggott & Gerry Harrington zu schätzen wissen. Lebendige, tanzorientierte Musik, von zwei Könnern in bester Spiellaune zelebriert ... da kommt helle Freude auf! Die Brüder Marcus & P.J. Hernon sind Freunden von "Music for Set Dancing" sicherlich ein Begriff. Beide sind seit rund 30 Jahren von der traditionellen Szene Irlands nicht wegzudenken. Marcus hat insgesamt siebenmal den All-Ireland-Titel im Flötenspiel gewonnen, P.J. ist mehrfacher Champion auf dem Akkordeon. Die 23 Titel ihres dritten Duo-Projekts, An Chearc Fhroigh, stammen ausnahmslos aus der Feder von Marcus Hernon: Jigs, Reels, Hornpipes, Walzer und Slow Airs. Wenn es sich auch um neue Kompositionen handelt, so sind diese doch eindeutig in der Tradition verwurzelt und geprägt vom kulturellen Background der beiden, also ihrer Heimat Connemara. Unterstützt wurden sie bei den Aufnahmen zu dieser wunderbaren Platte von Steve Cooney auf der Gitarre und von Laoise Kelly auf der Harfe.

Lia Luachra ist eine junge Trad-Gruppe, deren Debüt zu den schönsten CDs des Jahres 1998 zählte. Was das Quartett auszeichnet, ist die gut ausgewogene Verschmelzung von Respekt gegenüber den Roots mit eigener Kreativität. Zum Instrumentarium zählen Gitarre, Concertina, Mandoline, Bouzouki, Fiddle und Cello. Die Musiker bestechen sowohl durch ihre solistischen Fähigkeiten als auch durch ihr dichtes Ensemblespiel. Zum eher geringen Anteil an traditionellen Instrumentals gesellen sich zahlreiche sehr originelle Eigenkompositionen, die frischen Wind in das Klangbild zaubern. Zwei der vier Songs auf Traffic - allesamt aus der Feder des Gitarristen Jon Hicks - werden durch den Harmoniegesang der großen Niamh Parsons geadelt, von der bei Erscheinen dieses Hefts eine neue Soloplatte mit dem Titel In My Prime vorliegen sollte (Green Linnet Records). Lia Luachra wird übrigens im Rahmen eines viertägigen Festivals der National Concert Hall Dublin neben so illustren Namen wie Dónal Lunny, Altan, Martin Hayes, Mícheál Ó Suilleabháin, Kíla, Cran und Michael McGoldrick vertreten sein (17. bis 20. August 2000).

Niamh Parsons; photo by The Mollis Wer in der zweiten Oktoberhälfte dieses Jahres prima Traditional Irish Music wieder mal live hören möchte, erhält dazu Gelegenheit: Die Belfaster Band Craobh Rua wird auf Deutschland-Tournee sein. Patrick Davey (Pipes und Flöten), Brian Connolly (Banjo und Mandoline), Aaron Jones (Gitarre und Gesang) und Michael Cassidy (Fiddle) werden dann auch mit Sicherheit ihre neue Platte If Ida Been Here, Ida Been There im Gepäck haben. Sie setzen damit nicht nur die gute Tradition verzwackter Titel fort, sondern behalten auch mühelos den Standard der vier vorangegangenen Alben bei. Wieder demonstriert das Quartett eindrucksvoll, wie frisch und lebendig traditionelle irische Musik klingen kann. Gefühlvolle Balladen und virtuos gespielte Tunes sind wohl gegeneinander ausbalanciert - eine runde Angelegenheit, die es verdient hat, mit Vorrang in vielen folkigen CD-Playern zu rotieren.

Umfragen, welche Künstler die herausragenden Alben des Jahres 1996 veröffentlicht hätten, führten Anfang '97 immer wieder zu Nennungen von Solas, Altan, Eileen Ivers, Christy Moore und Anuna. Grand Necropolitan, das brillante Solodebüt von Cathal Coughlan, jedoch ging völlig unter - völlig zu Unrecht. Der ehemalige Protagonist der Pop-Gruppen Microdisney und Fatima Mansions hatte ein intelligentes Singer/Songwriter-Werk vorgelegt, das wohl Pop- und Folk-Freunden gleichermaßen zu sehr gegen den Strich gebürstet war - nix für Musikliebhaber, die bei diesem Genre sofort und nur an Chris DeBurgh, Gordon Lightfoot, Cat Stevens und Al Stewart denken, nicht aber auch an Eric Andersen, Jeff Buckley, John Cale, Leonard Cohen, Lou Reed, Smog und Scott Walker. Jetzt bekommt der Mann mit der faszinierenden Stimme eine zweite Chance, Black River Falls ist eine ähnlich elegisch-charismatische Platte geworden wie sein Debüt. Hier ist es durchaus mal angebracht, den Pressetext der Plattenfirma zu zitieren: "Zwölf Songs voll Poesie, wütender Melancholie und Sinnlichkeit, die bei aller Dramatik eine lichte Transparenz und anrührende Schönheit bewahren."

Und weil es soviel Spaß gemacht hat, gleich noch einen satten Nachschlag an name dropping: Dave Alvin, Guy Clark, Lee Clayton, Joe Ely, John "Cougar" Mellencamp, Tom Russell, Richard Thompson, Warren Zevon. Das sind die höchst angenehmen(!) Assoziationen, die mir zufliegen, wenn ich den nordirischen Singer/Songwriter Tony McLoughlin höre. Druckvoller, melodischer Gitarren-Rock-Folk, das ist es, was wir auf seinem exzellenten Debütalbum Ciné Rama zu hören bekommen. Die Themen seiner Songs sind die eines Weltenbummlers, der aber niemals vergißt, daß er aus Irland kommt und auch dazu mal Heiteres, mal Trauriges zu erzählen weiß. Man darf gespannt sein, ob der eine oder andere dieser feinen Songs demnächst von Prominenz gecovert wird. Unverdient wäre das mit Gewißheit nicht.

Brian Connolly and Michael Cassidy of Croabh Rua, photo by The Mollis Lange war nichts mehr von dem - in Westirland sehr beliebten - Balladensänger John Beag zu hören. Jetzt hat ein deutsches Label aus den insgesamt 29 Stücken seiner beiden letzten CDs 15 ausgewählt und unter dem Titel Spirits of Ireland wiederveröffentlicht. An den Stücken, die ursprünglich 1994 auf The Winds of Freedom erschienen sind, läßt sich rasch Gefallen finden. Eingespielt mit Máire Breatnach, Ronan Browne und John Faulkner, handelt es sich um schöne Balladen wie "The Foggy Dew", "The Old Man's Song", "Dublin Bay" und "Crooked Jack", die John Beag - eingestandener Fan des großen Luke Kelly - überzeugend interpretiert. Ein wenig schwieriger wird der Zugang für ein deutsches Publikum bei jenen Songs, die von der 93er-CD Tá an Workhouse Lán stammen. Die folgen nämlich dem in Connemara recht populären Trend, Lieder in irischer Sprache mit Einflüssen aus der amerikanischen Country Music zu ummänteln. Was nichts an den unbestrittenen sängerischen Qualitäten John Beags ändert, aber für unsere Ohren doch schon etwas kurios klingt. Trotzdem gebührt natürlich dem Mariposa-Label ob des Bemühens, diesen vorzüglichen Balladeer auch hier bekannt zu machen, ein Kompliment.

Bei Suantraí handelt es sich um eine großartige Sammlung irischer Wiegenlieder. Das Spektrum reicht von altertümlichen Gesängen bis hin zu erst kürzlich komponierten Liedern. Interpretiert werden sie allesamt von einer der angesehensten irischen Sängerinnen, Pádraigín Ní Uallacháin. Mit Máirtín O'Connor, Máire Breatnach, Cathal McConnell, Nollaig Casey und Tommy Hayes sind hier zudem einige der feinsten Musiker Irlands involviert. Ein winziger Wermutstropfen für die Fans der Sängerin könnte sein, daß fünf der 15 Songs hier bereits anderweitig auftauchten.

Seit geraumer Zeit schon ist die schottische Harfen-Virtuosin Savourna Stevenson auf Lob in höchsten Tönen abonniert. Das englische Musikmagazin MOJO jubelte: "Stevenson is leading something of a one-woman revolution in the rarefied world of small harps!" Und bei Folk Roots hieß es: "Savourna creates a variety of moods and styles that sometimes sound like traditional airs, at others like a classical, film music or even new age mood music." Ihre neueste CD, Touch Me Like the Sun, ist in der Tat weitestgehend ein One-Woman-Unternehmen, abgesehen mal von kurzfristiger Unterstützung durch Viola und Cello und einem Gastspiel von Eddi Reader, die das Titelstück - der einzige Song hier - hinreißend interpretiert. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, dann wird auch mit dieser CD die Serie begeisterter Kritiken nicht abreißen - alldieweil es sich um traumhaft gute Musik handelt!

photo by The Mollis Als er 1992 im Alter von 67 Jahren starb, war der vielseitige Musiker Josie McDermott leider ein wenig in Vergessenheit geraten. Mitte der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre brachte er es auf diversen Instrumenten zum mehrfachen All-Ireland Champion. In Ceili Bands spielte er Flöte und Tin Whistle, in moderner orientierten Ensembles auch Trompete und Alt-Saxophon. Für Darby's Farewell nahm er jedoch ausschließlich traditionelles Material auf, gelegentlich unterstützt von Robin Morton auf dem Bodhran. Vielleicht kann die Wiederveröffentlichung dieser Topic-LP aus dem Jahre '77 ein wenig dazu beitragen, daß sich der eine oder andere doch wieder an diesen begabten Musiker erinnert. Nie in Vergessenheit geraten ist Séamus Ennis: Sammler, Forscher, Produzent, Linguist, Erzähler, Sänger, Piper. Er war eine der angesehensten und einflußreichsten Persönlichkeiten der irischen Folklore-Szene. Als 1977 in den USA das Celtic-Label Green Linnet gegründet wurde, war die allererste Veröffentlichung eine Doppel-Cassette mit dem Titel Forty Years of Irish Piping. Die dort vertretenen 21 Aufnahmen aus dem Schaffen von Séamus Ennis wurden nun auf einer CD untergebracht, die ein Muß für jeden ernsthaften Sammler ist.

Zu den Begründern der legendären Folkrock-Gruppe Steeleye Span zählten Gay & Terry Woods. Das Paar verließ die Formation aber schon nach der ersten LP wieder und nahm von 1971 bis 1978 fünf LPs unter eigenem Namen auf - allesamt seit langem schon vergriffene und gesuchte Raritäten. Auf CD gab es bis vor kurzem nur eine halbstündige Zusammenstellung diverser BBC-Mitschnitte. Jetzt hat sich die Firma Cooking Vinyl dieses Themas angenommen und immerhin gibt es nun Tender Hooks, das mit Kate McGarrigle und Máirtín O'Connor eingespielte Opus #5 des Paares - auch als CD. Ein kleiner Folkrock-Klassiker "digitally re-mastered" und obendrein zum Nice Price - da lacht das Sammlerherz!

Die möglicherweise wichtigsten aktuellen Wiederveröffentlichungen im Folk-Bereich sind zwei großen Namen der englischen Singer/Songwriter-Szene der späten 60er-/frühen 70er-Jahre gewidmet. Unter dem Titel seines Solo-Debüts Can I Have My Money Back? wurden eben dieses und zwölf weitere Songs von Gerry Rafferty aus den beiden davor liegenden Jahren zu einer generösen Best of-Kollektion zusammengefaßt - in exzellentem digitalen Remastering und mit profunden Liner Notes! Raffertys frühe melancholische Folksongs sind bis heute das Beste, was er je produziert hat, wenn auch sein "Baker Street" von 1978 zum großen Sommer-Pop-Hit erblühen sollte. Ganze drei LPs veröffentlichte der introvertierte Songpoet Nick Drake, bevor sein Leben im Alter von gerade mal 26 Jahren 1974 durch Selbstmord endete. Alle drei Alben - Five Leaves Left, Bryter Layter und Pink Moon - gelten als Meilensteine des Genres. Dank der kongenialen Betreuung durch den Produzenten Joe Boyd wurde die von Hoffnungslosigkeit und zugleich aber auch Gelassenheit geprägte Stimmung adäquat eingefangen und die Aufnahmen gerieten zu audiophilen Glanzstücken. Die CD-Erstauflage erfolgte vor gut zehn Jahren, unter Aufsicht von Joe Boyd erfolgte nun eine Neuauflage in liebevoller Aufmachung und in superber Überspielung! So zeitlos schön wie diese Lieder klingen allenfalls die besten aus der Feder ganz großer Kollegen wie Dylan, Richard Thompson, Tim Buckley und Townes Van Zandt. Aber eine "Warnung" sei ausgesprochen: Dieser Stoff ist nichts für Zeitgenossen, die Musik ausschließlich als Stimulans für gesteigerte Lebensfreude begreifen möchten!

Axel Schuldes


Photo Credit: All photos - except no 1 - by The Mollis: (1) Charlie Piggot and Gerry Harrington; photo by Sean Laffey); (2) Niamh Parsons; (3) Brian Connolly and Michael Cassidy of Croabh Rua.


Originalabdruck: 'irland journal' (Christian Ludwig Verlag, Dorfstr. 70, 47447 Moers).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 08/2000

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