FolkWorld Live Review 03/2000:

Celtic Connections in Glasgow - Januar 2000

Gesammelte Impressionen


Von Christian & Michael Moll

Celtic Connections ist eine der größten Ansammlungen 'keltischer' Musik auf einem Festival. Es findet seit nunmehr sieben Jahren für ca. 20 Tage im Januar in Glasgow statt. Vor dem ersten Festival konnte sich noch kein Mensch vorstellen, dass es möglich wäre, ein Festival solcher Größe im Januar zu starten - doch Celtic Connections hat eindrucksvoll bewiesen, dass dies durchaus möglich ist.
River Clyde in Glasgow, photo by The Mollis Glasgow hat sich zu einer idealen Lokation für ein derartiges Festival entwickelt. In den letzten Jahren ist aus dem "hässlichen Entlein" eine der beliebstesten Stadt-Reiseziele Großbritanniens geworden, insbesondere aufgrund des lebendigen Nachtlebens. Regelmäßige Besucher des Celtic Connections Festival konnten diesen beeindruckenden Wandel miterleben: So ist aus der großen unattraktiven Innenstadtbrache, die noch vor kurzem die ‚Royal Concert Hall' umgab, inzwischen eine der besten Einkaufsgegenden der Stadt gewachsen. Aber noch heute liegt der große Reiz Glasgows in extremen Gegensätzen: Dorf, Weltstadt, Industriebrache, Kulturstadt, Einkaufsparadies, heruntergekommene Abbruchviertel - man weiß nie, was hinter der nächsten Straßenecke zum Vorschein kommt. Es ist eine äußerst faszinierende Stadt, die eingebettet wird von der faszinierenden Naturlandschaft Schottlands.

Ein ausführlicher Bericht über das Festival, der zumindest kurz auf jede teilnehmende Band eingeht, würde dieses Heft sprengen; deshalb im folgenden ein kleiner "Pick of the best" mit Dudelsäcken, gälischen Frauen, spanischen Musikern, String Sisters und anderen Spezialitäten.

Gaelic Women
Ein Schwerpunkt des diesjährigen Festivals war der schottisch-gälische Gesang. Höhepunkt der Reihe an Konzerten dieser Art war sicherlich das Konzert 'Gaelic Women'.
1999 hat Greentrax ein eindrucksvolles Album herausgegeben: Gaelic Women "Ar Cànan 'S Ar Ceòl (Our Language and Our Music)", mit 14 Originalaufnahmen bekannter gälischer Sängerinnen. Für dieses Festival durfte nun Mr. Greentrax, Ian Green, ein Showcase mit den meisten dieser Sängerinnen organisieren. Es war das vielleicht erste Mal überhaupt, daß so viele der besten gälische Sängerinnen zusammen auf einer Bühne waren.

Gaelic Women, the musicians and the Greentrax Clan; photo by The Mollis Mairi MacInnes und Cathy-Ann MacPhee, die das Projekt angestossen hatten, eröffneten den Abend mit einem wunderschönen langsamen Lied im Duett. Im folgenden sang jede der teilnehmenden Sängerinnen zwei Lieder, zum Teil durch andere Sängerinnen sowie durch hervorragende Musiker begleitet. Beeindruckend wurde an diesem Abend das gälische Liedgut in allen seinen Variationen vorgestellt - zum Teil eben auch modern oder ungewöhnlich interpretiert.

Da war die in Deutschland gut bekannte Cathy-Ann MacPhee von der Isle of Barra in den Äußeren Hebriden mit ihrem warmen und natürlichem Gesangsstil, begleitet in einem spannenden avantgardistischen Stil von Malcolm Jones (guitar), Fraser Fifield (sax) und Bobby Miller (bass). Als Kontrast hierzu folgte Mary Smith von der Isle of Lewis mit ihrem klassischem, nahezu archaischem gälischem Stil in purer und beeindruckender A-Capella Form. Währenddessen zeigte die jugendliche Mairi Morrison aus Lewis, daß es auch eine neue selbstbewußte Generation des gälischen Liedes gibt - begleitet von einer modernen Rock/Pop Band bestehend aus Folkmusikern (inklusive exzellentem Saxophon von Fraser Fifield), begibt sich Mairi mit ihrer jugendhaften Performance in Popgefilde, womit sie ein neues Potential gälischer Kultur vorgibt.
Einer der außergewöhnlichen Momente des Abends war das Set von Kenna Campbell mit ihren Töchtern Wilma Campbell und Mary-Ann Kennedy. Ihr unbegleitetes puirt-a-beul gab einen bewegenden Beweis des familiären Weitergebens von Traditionen. Das zweite Lied von Kenna wurde durch Wilmas Steptanz begleitet - eine sehr ungewöhnliche und beeindruckende Begleitung von traditionellem gälischen Gesang! Zutiefst beeindruckend war auch das Set von Sängerin Margaret Stewart mit Small Piper Allan MacDonald, einem Duo, das die enge Beziehung zwischen gälischen Gesangs- und Dudelsacktraditionen auskundschaftet.

Gaelic Women; photo by The Mollis Das Set von Anna Murray, der jungen gälischen Sängerin und Seifenoper-Schauspielerin von der Isle of Lewis, führte direkt zum musikalischen Highlight des Abends: MacKenzie, ohne Zweifel das allerschönste, was es an gälischem Liedgut in der Folkszene gibt. Eilidh, Fiona und Gillian MacKenzie sind drei junge Frauen, die mit ihren bittersüßen Stimmen himmlische gälische Klangbilder erzeugen - umwerfend!

Noch nicht erwähnt ist nun der Gesang von Maggie MacInnes, Ishbel MacAskill, Anne Lorne Gillies, dem Glasgow Gaelic Choir. Und die talentierte Backing Band: Billy Jackson (Ossian; harp), Malcolm Jones (Runrig; ac & e guitar, accordion), Fraser Fifield (Ex-Old Blind Dogs, Salsa Celtica; sax), Paul Jennings (Old Blind Dogs; bongo), Andrew White (guitar), Allan MacDonald (pipes) und Rhona McKenna (clarsach).
Das Konzert endete mit "Cana Nan Gaidheal", mit allen beteiligten Musikern und Sängerinnen auf der Bühne und einem lauten und guten Rockmusik-Backing. Am Ende des Abends platzte Ian Greens Herz vor stolz.

Der amerikanische Folksong Collector Alan Lomax hat einmal die gälischen Liedtraditionen als die "Blume von Westeuropa" bezeichnet. An diesem Abend ist diese Blume wieder voller Pracht aufgeblüht.

Die Star Piper
Xose Manuel Budino; photo by The Mollis Für ein schottisches Folkfestival ist es durchaus nicht überraschend, dass hier der eine oder andere schottische Piper anzutreffen ist. Eindrucksvoll und außergewöhnlich ist es aber schon, wenn innerhalb weniger Tage jeweils zwei musikalische Generationen der allerbesten 'Star-Piper' aus Schottland, der irischen Szene und dem nordspanischen Galicia zu sehen sind. Die jeweiligen "Könige des Dudelsacks" sind Fred Morrisson (Schottland), Paddy Keenan (Irland) und Carlos Nuñez (Galicia), während deren vermeintliche Prinzen Rory Campbell (Schottland), Michael McGoldrick (England/Irland) und Xosé Manuel Budiño (Galicien) sind. (Darüber kann man natürlich auch streiten...).

Beginnen wir mit einem Konzert zweier "Könige": ‚Fred Morrisson trifft Paddy Keenan'. Beide Piper zählen anerkanntermaßen zu den herausragenden Meistern ihrer Dudelsäcke, und beide werden bei ihren Auftritten eins mit ihrer Musik, scheinen mit ihrem Dudelsack zu verschmelzen, wenn ihre Musik im vollen Fluge ist.
Fred Morrisson (ex-Capercaillie, ex-Clan Alba, Ceolas) durfte den Abend eröffnen, begleitet von zwei Mitgliedern seiner neuen exzellenten jungen, traditionell gälischen Band Ceolas: Ross Martin (Gitarre) und Will Lamb (Bouzouki). Fred selbst spielte an diesem Abend Low-Whistle und Scottish Reel Pipes (ein Dudelsack, der ähnlich den Smallpipes nicht per Mund, sondern per Blasebalg unterm Arm mit Luft versorgt wird, in Kraft und Lautstärke aber zwischen Small- und Great Highland Pipes liegt). Fred Morrisson in voller Fahrt zu erleben ist immer von neuem ein Erlebnis - nicht nur fürs Ohr, denn Fred lebt in der Tat auf mit seiner Musik.
Die zweite Hälfte präsentierte Paddy Keenan (Ex Bothy Band) auf den irischen Uilleann Pipes und Low Whistle, begleitet von Tommy O'Sullivan (Gitarre). Carlos Nuñez beschrieb Paddy sehr passend: "Paddy Keenan repräsentiert die irischen ‚travelling pipers' (Fahrende Dudelsackspieler), er hat einen sehr ausgefallenen Stil, er improvisiert andauernd. Dieser Stil erinnert mich stark an Gypsy Flamencos. Es kommt nicht vor, dass eine Phrase zweimal wiederholt wird, es wird dauernd improvisiert, und andauernd wird alles wieder verändert." Ein frisches, improvisationsfreudiges Spiel, dabei viel Humor bei den Ansagen zeigten, daß Paddy im Augenblick in Bestform ist und wieder große Freude an Auftritten hat.
Als Abschluss des Konzerts trafen sich beide Ausnahmemusiker auf der Bühne um mit sich ihren Pipes bei zwei Stücken zu duellieren - fabelhaft.

Carlos Nuñez zeigte mit seiner Band ein gänzlich unterschiedliches Auftreten. Seine Show ist sehr durchgeplant, wirkt aber dennoch spontan und lebhaft. Carlos hat trotz seines jungen Alters eine große Bühnenerfahrung - das Publikum wird sehr bald von seinen Low Whistle und Gaita-Stücken mitgerissen. Bei dem Konzert in Glasgow hatte er neben seiner Band noch ein paar Gäste: einen galicischen Tanzmeister, der mit Begleiterin einige traditionelle Tänze auf der Bühne zeigte und außerdem als Sänger des traditionellen galicischen Gesangs beeindruckete. Als weiteren Höhepunkt konnte Carlos mit Mike Scott von den Waterboys aufwarten, der extra für zwei Lieder aus London angereist war.

Carlos' Kollege Xosé Manuel Budiño, ebenfalls aus Galicia, wird von der Presse oft als der Nachfolger von Carlos bezeichnet, und dies trifft auch irgendwie zu - wenngleich Xosé etwas älter als Carlos ist. Xosé's Auftritte sind wilder, seine Band etwas ungeschliffener, rockiger und rauher - was in keinster Weise negativ gemeint ist! Atemberaubend sind die Lieder, bei denen die äußerst kraftvolle Stimme der jungen Sängerin Mercedes Péon, welche oft mit der Xosé's Band auftritt, mit dem Dudelsack wetteifert - das erstaunlichste an dieser Kombination ist, dass die Stimme meist in Kraft gegen den Dudelsack gewinnt... Xosé & Banda sind ohne Zweifel eine der besten Liveacts, die Spanien momentan zu bieten hat.

Als Prinz der schottischen Piper könnte man Rory Campbell bezeichnen, der zusammen mit Malcolm Stitt (beide Deaf Shepherd) auftrat. Die erste Hälfte bestritten die beiden gekonnt traditionell - wenn man die hervorragenden Kompositionen von Rory als 'traditionell' bezeichnen möchte. Die beiden sind ein eingespieltes Team, von dem man noch viel erwarten kann. In der zweiten Hälfte haben die beiden als spannendes Experiment den Scratcher "DJ Extra" als Special Guest auf die Bühne eingeladen. Und so erstaunlich es klingen mag, das Konzept ging voll auf - ungewöhnliche Töne, die dem Großteil des Publikums gefielen, und die sicherlich gerade auch im Worldmusic Markt sehr gut ankämen.
Michael McGoldrick; photo by The Mollis Der irischen Szene zugerechnet ist Michael McGoldrick aus Manchester, einer der Shooting Stars der Szene. Neben seiner Arbeit bei Capercaillie hat sich der Uilleann Piper und Flötist nun eine All-Star Band zusammengestellt. Musik wie die von "Michael McGoldrick's Experience" ist seit den Moving Hearts nicht mehr gehört worden (ausser evt. einiger Versionen der Donal Lunny Band). Mit dabei ist Crème der Szene: Manus Lunny, Donald Shaw, Ed Boyd, John Joe Kelly, Dezi Donnelly, Alan Kelly etc.
Für den Konzertabend im Fruitmarket (einer ehemaligen Markthalle) hatte Michael einen schlüssigen Aufbau mit beeindruckendem Spannungsbogen: Zuerst spielt er traditionell, nur von Gitarre und Bodhran begleitet; bereits dies ergibt ein volles Klangbild. Mit der Zeit kommen immer mehr Musiker auf die Bühne und die Musik wird progressiver, ohne aber die tiefe traditonelle Verwurzelung zu verlieren. Jeder weitere Musiker bereichert auch tatsächlich das Klangbild; sowohl von der Musik als auch von der Inszenierung her hat Michael McGoldrick ein Gesamtkunstwerk geschaffen. Ein Musiker - eine Band - ein Erlebnis!

Highlights und Specials
Neben Dudelsäcken und gälischen Frauen gab es selbstverständlich noch viel mehr Berichtenswertes von Celtic Connections. Hier also noch ein paar Worte über weitere Highlights des Festivals, zu denen definitv die Auftritte von Berrogüetto und den String Sisters gehören, und über die wichtigsten Celtic Connections Spezialitäten: 'Danny Kyle's Open Stage' und der Festival Club.

Berroguetto; photo by The Mollis Celtic Connections hat in den letzten Jahren einen immer stärkeren Schwerpunkt auf Nordspanien gesetzt. Dieses Jahr waren neben den oben genannten Dudelsackspielern noch drei weitere spanische Gruppen dabei: der geniale baskische Akkordeonist Kepa Junkera mit Band sowie aus Galicien Dhais und eben Berrogüetto.
Berrogüettos Auftritt war mitreißend, spannend, einfach genial. Seit ihrem zweiten Album ist zu den sechs Jungs Guadi Galego als festes Bandmitglied und Frontfrau hinzugestoßen. Die junge Galicierin spielt die Gaita und singt, wobei sie sich zum Teil selbst auf der Pandeireta (Handtrommel mit Schellen) begleitet. Die Performance der Band ist kraftvoll und sehr effektiv; es entsteht ein großer Spannungsbogen, der die individuellen Fähigkeiten der Bandmitglieder voll aufgehen läßt. Eine der besten Live Bands, die ich bisher gesehen habe. Die String Sisters sind eine neue Projekt-Band. Unter der Führung der jungen Fiddlerin Catriona McDonald aus Shetland haben sich die besten Geigerinnen der (zumeist keltischen) Welt versammelt: Mairead Ní Mhaonaigh (Irland; Altan), Annbjørg Lien (Norwegen; eine der besten Geigerinnen Skandinaviens, die die Hardingfele spielt), Liz Caroll (Exil-Irin aus den USA), Natalie MacMaster (Cape Breton) sowie Winnie Horan (Exil-Irin aus den USA; Ex-Cherish the Ladies). Eindrucksvoll stellten die Frauen ihre eigenen Geigen-Stile heraus. Die String Sisters hatten sich zusammen mit den Begleitmusiker einige Tage vor dem Konzert schon zum Proben getroffen, so dass das Konzert eine eindrucksvolle Präsentation des Zusammentreffens internationaler Traditionen bieten konnte - hoffentlich werden diese Fiddle-Engel noch häufig gemeinsam auf den Bühnen der Welt zu sehen sein...

Danny Kyle Mashie Figure; photo by The Mollis Eine Spezialität des Festival ist die äußerst beliebte Open Stage, benannt nach dem 1998 verstorbenen, vielgeliebten, kleinen großartigen Schotten, der dieses Ereignis ins Leben gerufen hat. Die Open Stage bietet jungen oder unbekannten Musikern und Gruppen die Möglichkeit, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Diese Möglichkeit ist eine große Chance für die Musiker, denn diejenigen, die einen der zu vergebenen "Danny Awards" gewinnen, treten beim nächsten Celtic Connections auf den großen Bühnen auf. Eine Gewinnerin des letzten Jahres - die jugendliche Harfinistin Phamie Gow - spielte z.B. beim diesjährigen Festival neben anderen Auftritten im Royal Concert Hall Main Auditorium als Support vor dem gemeinsamen Auftritt von Liam O'Flynn und Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney...
Auffällig waren dieses Jahr die vielfältigen Auftritte von Folkmusikstudenten der Universität, die bewiesen, dass Glasgows Uni die Crème der Szene von morgen ausbildet.

Der Celtic Connections Festival Club startet jeden Tag gegen Mitternacht und präsentiert exzellente Musik von Bands und Musikern, die zum Spaß in der Nacht noch mal - teilweise in ungewöhnlichen Kombinationen - auftreten. Die Musik geht immer bis in den frühen Morgen - nichts für Leute, die ihren Schlaf brauchen...

Es sind nun noch viele exzellente Konzerte unerwähnt geblieben - Celtic Connections ist auf alle Fälle ein Festival, bei dem jeder Liebhaber keltischer Musik voll auf seine Kosten kommt.


Photo Credit: Alle Photos von den Mollis

Weitere Infos auf der Homepage Royal Concert Hall von Glasgow


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 3/2000

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